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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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abgespielt, sondern da drüben«, ergänzte ein anderer und deutete zu dem Maschendrahtkäfig. »Dort gibt es Blutantragungen am Holz und im Gras.«
    »Dort, an diesem Ding?« Häberle staunte und ging die paar Schritte zu der stabilen Konstruktion, von der er vermutete, dass sie ein junges Bäumchen gegen Wildverbiss schützen sollte. Erst jetzt bemerkte er den Stab, mit dem die Kollegen Blutflecken im hohen Gras markiert hatten.
    »Es sieht so aus, als sei der Mann bei diesem Käfig hier erstochen und dann quer über die Wiese ins Gebüsch rübergezogen worden«, erklärte ein älterer Mann. Häberle wagte sich plötzlich nicht mehr zu bewegen, denn mit jedem Schritt, so befürchtete er, würden wertvolle Spuren zertrampelt. Aber nachdem in der vergangenen Dreiviertelstunde Dutzende von Rettungskräften hier kreuz und quer über die Lichtung gegangen waren, bestand ohnehin nur noch eine geringe Hoffnung, etwas wirklich Verwertbares finden zu können.
    »Die Spurensicherung ist im Anmarsch«, hörte er eine Stimme, interessierte sich aber für etwas anderes. »Heidenreich, sagt ihr, heißt der Mensch. Heidenreich. Woher?«
    »Aus Weilheim unter Teck«, bekam er zur Antwort. »An der Autobahn drüben.«
    Dieser Hinweis erschien Häberle absolut überflüssig. Als Wanderer und Radler kannte er sich in der Gegend aus. Aber solch ein Erfahrungsschatz war heute längst nicht mehr gefragt – und die jungen Kollegen, das beklagte er oft genug, kannten die Welt nur noch zweidimensional, wie sie der Computerbildschirm darstellte – vorausgesetzt, es waren keine 3-D-Darstellungen, für die man eine spezielle Brille brauchte. Die neuen Führungskräfte, vor denen es Häberle graute, hatten längst den Bezug zur Realität verloren und glaubten, alles ließe sich in Einser und Nullen einer digitalisierten Welt auflösen. Was zählten darin noch Menschenkenntnis und das Verständnis für die Nöte und Probleme Einzelner? Wer nicht ins kostenneutrale Konzept passte, war ein Hindernis, das es aus dem Weg zu räumen galt. Wenn Häberle darüber nachdachte, spürte er stets Genugtuung, dass er Mitte 50 war und es nicht mehr nötig hatte, all diesen Irrsinn mitzumachen, mit dem die jungen Führungskräfte aus den Akademien kamen – bar jeglicher praktischen Erfahrung. Solche, das schoss ihm in Augenblicken wie dem jetzigen durch den Kopf, hatten wohl auch vor einiger Zeit gemeinsam mit den noch ahnungsloseren Politikern die Polizeiposten in den kleinen Kommunen abgeschafft. Und weil ein Reformwahn das Land erschüttert hatte, ausgelöst von einem Ministerpräsidenten, der endlich einmal etwas vorweisen wollte, was die Verwaltung angeblich verschlankte, wurde auch gleich der Wirtschaftskontrolldienst zerschlagen. Waren bis dahin Polizeibeamte in die Überprüfung von Gaststätten und Lebensmittelgeschäften einbezogen, was dem Ganzen nicht nur mehr Respekt, sondern auch Ansehen und Effektivität verschaffte, so mussten seither Beamte der Landratsämter diese Aufgaben übernehmen. Häberle konnte nicht nachvollziehen, dass sich Baden-Württemberg in diesem Fall den schlechteren Methoden der anderen Bundesländer anschließen musste.
    Sollten sie doch den Staat vollends ruinieren, dachte er. Und ihm fiel der legendäre Spruch des Grafen von Berlichingen ein, der so gern von den Schwaben bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten zitiert wurde – wenn sie sich über jemanden geärgert hatten ebenso wie als Zeichen allergrößten Erstaunens. Letztlich kam es auf feine Nuancen in der Betonung an, wie sie ein Nichtschwabe niemals lernen konnte. Wenn Häberle an besagten Ausspruch dachte, dann meist in der felsenfesten Überzeugung, dass sich mit jedem Tag seines Lebens zwangsläufig die Zahl derer erhöhte, die ihn das können durften, was Graf von Berlichingen so ungeschminkt gesagt haben sollte.
    Was waren denn das für Schwätzer, die ihm, dem erfahrenen Ermittler, beibringen wollten, wo dieses Weilheim unter Teck lag? Gerade doch mal maximal acht Kilometer Luftlinie von hier entfernt. Häberle grinste in sich hinein. »Muss man diesen Herrn kennen?«, zeigte er sich an dem Toten interessiert.
    »Kommt drauf an«, meldete sich ein anderer zu Wort. »Wenn’s der Heidenreich ist, den ich kenne, dann arbeitet er bei der Steuerfahndung.«
    Häberle und Specki sahen sich an. Sie waren sich wortlos einig, nichts zu sagen. Die Jungs von der Steuerfahndung waren schließlich auch Beamte und somit Kollegen. Außerdem taten sie nichts

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