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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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weiter als ihr Geschäft – und durften ohnehin nicht mit jenen verwechselt werden, die Häberle allzu gern als ›sesselfurzende Griffelspitzer‹ bezeichnete, weil sie nur die Kleinen durch die Mangel drehten, deren Steuererklärung sie durchschauten, während sie die komplexen, globalen und vielschichtigen Gebilde scheuten, mit denen große Firmen und Konzerne zum Zwecke der Steuerminimierung und Gewinnmaximierung Konstrukte entwickelten, die aufgrund zahlloser undurchschaubarer Ausnahme- und Sondergenehmigungen keine Abgaben zu bezahlen brauchten, sondern stattdessen in den Genuss fürstlicher, natürlich steuerfreier Subventionen in Form von Einmalzahlungen kamen. Irgendwie hatte Häberle vor geraumer Zeit so etwas über einen Handy-Hersteller gelesen.
    »Heidenreich«, so fuhr der Kollege fort, »hat sich im Raum Weilheim einen Namen gemacht.«
    »Als Steuerfahnder?«, hakte Häberle ratlos nach und gab sich wieder in gewohnter Weise locker. »Hat er womöglich den Deal mit der Daten- DVD in Liechtenstein eingefädelt?«
    Gedämpftes Lachen machte sich breit.
    »Nein«, entgegnete der Kriminalist, der sich mit Heidenreichs persönlichem Umfeld auszukennen schien. »Er war ein erbitterter Gegner der Schnellbahntrasse für die Eisenbahn. Zumindest tat er so.«
    Häberle verschränkte die Arme vor dem viel zu engen Hemd. »Stuttgart 21«, kommentierte er, wohl wissend, dass mit dieser Bezeichnung nur die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs gemeint war. Aber dieses sündhaft teure Prestigeobjekt zog zwangsläufig den Ausbau der Eisenbahnstrecke nach Ulm und damit in Richtung Augsburg-München nach sich.
    »Was heißt ›erbitterter Gegner‹?«, fragte Häberle.
    »Zu verhindern ist die Bahnstrecke nicht mehr, glaub ich jedenfalls. Aber jetzt ging es ihm und seinen Mitstreitern darum, die Auswirkungen möglichst gering zu halten. Baustellenverkehr und so. Vor allem aber das Ablagern von Millionen von Kubikmetern Abraum. Immerhin soll der Tunnel durch die Alb rund 14 Kilometer lang sein. Was glaubt ihr, welche Menge Gestein da rauskommt!«
    Häberle musste sich insgeheim eingestehen, sich bisher kaum mit diesem Projekt befasst zu haben. »Und …«, er überlegte, wie er es formulieren sollte, »ihr könntet euch vorstellen, dass ihn deswegen jemand umbringt?«
    Schweigen. Specki zuckte mit den Schultern.
    Häberle bemerkte, dass die Frage völlig überflüssig war. Was sollten die Kollegen auch schon antworten? Er selbst wusste doch am besten, weswegen gemordet und getötet wurde. Meist waren es nichtige Anlässe. Beziehungstaten, Eifersuchtsszenen, Affektstaus. Die Abgründe der menschlichen Seele waren eben tief. Sehr tief. Sie reichten bis weit hinab in die Hölle.
    »Ach ja«, riss ihn wieder eine Stimme aus den Gedanken. »Wir haben seine Freundin ausfindig gemacht.«
    »Wie?« Häberle fuhr herum.
    »Ja, sie hat vorhin angerufen. Auf seinem Handy.«

4.
    Georg Sander hatte Kopfweh. Außerdem war er hundemüde. An Vormittagen wie diesem wünschte er sich, nicht so spät heimgegangen zu sein. Doch das Sommernachtsfest im Kreis seiner ehemaligen Schulfreunde und deren Partnern war jedes Mal etwas Besonderes. Zwar hatten sie all die Geschichten, die sie sich erzählten, schon oft gehört, doch vielleicht lag es am zunehmenden Alter, dass sie gerne über Vergangenes redeten und manches, was damals in Wirklichkeit gar nicht so komisch war, ein bisschen verklärten. Dass ihre beiden Lehrer Reinhard und Bruno regelmäßig dazustießen, zeugte von einer alten Verbundenheit, die nach so langer Zeit ziemlich ungewöhnlich war.
    Sander und seine Partnerin waren erst gegen halb fünf nach Hause gekommen. Und jetzt saßen sie im sonnendurchfluteten Wintergarten ihres Hauses und änderten die Pläne für diesen Sonntag. Eigentlich hatten sie eine größere Radtour an die Iller vorgehabt, entlang derer man von Neu-Ulm weit in Richtung Allgäu hinauffahren konnte. Diese Route, die meist durch den Flusswald führte, vorbei an den Tümpeln des Altwassers, weckte in Sander immer wieder Erinnerungen an den Amazonas, wo sie vor vielen Jahren einen Tag lang gewesen waren. Die Iller, so schien es ihm, war eine Miniausgabe davon – so, wie sie beidseits von Wäldern umgeben war und dort mancherorts sumpfige Bereiche ausbildete.
    Nein, dort wollte Sander an diesem heißen Junitag nicht radeln. Nicht heute. Nicht mit diesem Brummschädel. Außerdem wollte er am Abend zeitig zurück sein, um sich einem Viertelfinalspiel der

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