Glasklar
Mund.
»Nach der schiefen Ebene wird es geräumig. Die erste kleine Halle tut sich unter dir auf. Aber jetzt pass genau auf, was ich dir sage: Am Ende dieser schiefen Ebene gibt es Haltegriffe. Dort hältst du dich fest und drehst dich wieder auf den Bauch. Dann musst du mit den Füßen die senkrecht abwärtsführende Eisenleiter ertasten. Erst wenn du festen Stand spürst – verstehst du? Festen Stand – dann mit beiden Füßen draufstehen und abwärtssteigen. Gleichzeitig mit den Händen an den Stufen festhalten. Die Leiter ist gewöhnungsbedürftig. Sie ist sehr schmierig – und geht 15 Meter senkrecht auf unser erstes Plateau runter.« Er sah sie an. »Hast du das alles verstanden?«
Sie nickte zaghaft und sah in das Loch.
»Ich geh voraus«, entschied er und schnallte sich den Riemen mit der Umhängetasche enger. »Du wirst sehen, es ist viel einfacher, als man es sich vorstellt.«
Er trat zu der Öffnung und verschwand im Untergrund. Augenblicke später hörte sie seine Stimme: »Du kannst nachkommen.«
Wieder zögerte sie. Doch dann kniete sie sich rückwärts an das Loch, tastete zuerst mit dem linken Bein in die Tiefe, spürte die Leiter, hielt sich an der obersten Eisensprosse fest und kletterte Sprosse um Sprosse nach unten. Es war eng und feucht. Ihr Helm stieß an hervorstehendes Gestein.
»Bist du da?« Die Stimme des Mannes klang seltsam dumpf. Sie hörte seinen Atem und wie er sich mühsam vorwärtskämpfte. Vermutlich war er bereits auf der schiefen Ebene.
Sie versuchte, zwischen ihrem Körper und der Felswand nach unten zu schauen. Gleich endete die Leiter. Umdrehen, hatte er gesagt, erinnerte sie sich. Auf den Rücken legen. Als sie die letzte Eisensprosse erreicht hatte, überkam sie plötzlich eine panische Angst. Es schien ihr, als raube ihr etwas den Atem und presse ihr den Brustkorb zusammen. Wenn sie jetzt keine Luft mehr bekam, wenn sie hier im Fels hängen blieb, wenn sich ihr Schlaz irgendwo verklemmte, dann konnte ihr niemand helfen. Sie würde elendig umkommen.
»Was ist los?« Wieder die Stimme des Mannes. Er hatte offenbar bemerkt, dass sie sich nicht mehr bewegte.
»Ich komme schon!«, rief sie und versuchte, sich vorsichtig aus der senkrechten Position in die Rückenlage zu drehen. Mit den Füßen spürte sie den Halt auf lehmigem Erdreich. Jetzt würde es in den schiefen Gang übergehen, der so nieder war, dass er nur auf dem Rücken rutschend zu durchqueren war. Umdrehen und auf den Rücken legen, befahl ihr eine innere Stimme. Sie stieß wieder mit dem Helm gegen Fels, versuchte sich zu drehen, ohne die Hände von der Leiter zu lassen, was jedoch zu einer unkoordinierten Bewegung führte. Der Rücken begann zu schmerzen, ein Halswirbel rebellierte. Die Arme überm Kopf, die Hände an eine schmierige Eisensprosse geklammert, wagte sie eine neuerliche Drehung. Doch so würde es nicht funktionieren. Sie musste loslassen, sich drehend in die Hocke begeben, um die Beine in die schiefe Ebene zu schieben. Was hatte er gesagt? Wann kam die senkrechte Leiter? 15 Meter, hatte er gesagt. Am Ende ging es 15 Meter senkrecht hinab. Sie musste höllisch aufpassen, diese Leiter nicht zu verpassen.
Zentimeter um Zentimeter rutschte sie auf dem lehmig-feuchten Untergrund abwärts, sich mit den Fersen vorwärtsziehend und mit den behandschuhten Händen an der niedrigen Decke abdrückend. Ihre Bewegungen wurden schneller, unkontrollierter. Sie wollte diese verdammte Stelle hinter sich bringen.
»Alles klar?«, rief der Mann.
»Geht schon«, gab sie schwer atmend zurück.
»Ich bin am Ende vom Schiefen«, beruhigte er. »Noch zwei Meter, dann hast du es geschafft.«
Sie spürte Schweiß unterm Helm. Ihre Hände waren klamm, und zwischen den Zähnen knirschte der Lehm. Ein Gefühl befiel sie, als würde der Spalt im Fels, durch den sie sich quälte, immer enger – als sei die Luft viel zu dünn zum Atmen.
Plötzlich die Leere. Die Leere unter dem Absatz der Schuhe. Sie war durch.
»Jetzt auf die Leiter«, sagte die Stimme unter ihr. »Bleib auf dem Rücken und komm näher. Du hast gleich ein paar Haken zum Festhalten.«
Ihre Knie zappelten bereits in der Luft, als endlich vor ihren Augen eiserne Vorrichtungen auftauchten, die links und rechts in die Felswand eingelassen waren.
»Streck die Beine aus, dann hast du es«, befahl der Mann. Tatsächlich: Sie spürte etwas Festes, aber Glitschiges. Eine Sprosse der Leiter.
»Steh drauf, aber halt dich fest.«
Sie kam mit beiden
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