Glasklar
worden, deren Mann in einem Stuttgarter Bordell eine tödliche Herzattacke erlitten hatte, während sie davon ausgegangen war, er verbringe den Abend mit Geschäftsfreunden.
»Herr Heidenreich war Ihr Partner?«, versuchte Specki, ein Gespräch in Gang zu bringen.
Wieder verging eine Minute, ohne dass jemand etwas sagte.
Der Seelsorger wandte seinen Kopf so weit wie möglich zur Seite, um mit Sabine Braunstein Blickkontakt aufnehmen zu können. Aber sie schien daran nicht interessiert zu sein. »Herr Heidenreich war Ihr Lebensgefährte?«, griff er Speckis Frage auf.
Sie schloss die Augen und deutete ein zaghaftes Nicken an.
»Sie waren vergangene Nacht mit ihm auf dem Berg?«, fragte der Kriminalist vorsichtig weiter.
Wieder ein zaghaftes Nicken mit geschlossenen Augen.
»Und danach?«
Sie holte tief Luft und zuckte mit den schlanken Schultern, die Augen weiterhin geschlossen.
»Sind Sie gemeinsam runtergegangen?« Specki blickte zu dem Seelsorger, um sich gegebenenfalls an dessen Anweisungen zu halten.
Sabine deutete ein Kopfschütteln an, ohne die Augen zu öffnen. »Nein«, sagte sie leise und ließ durch ihre Geste darauf schließen, dass sie krampfhaft versuchte, den Verlauf des Abends nachzuvollziehen.
»Nein«, wiederholte Specki behutsam und fasste sich ans unrasierte Kinn. »Sie sind getrennt heruntergegangen«, meinte er ruhig.
»Ja.« Sie öffnete wieder die Augen und sah zu den Steilhängen hinüber. »Werner und ich sind noch kurz zu den ›Wilden Gesellen‹ rüber ans Haus. Ich bin dann aber nicht mehr lange geblieben.«
»Und dann?« Specki fühlte sich durch eine Geste des Seelsorgers zu weiteren Fragen angespornt.
»Ich habe mich Heide angeschlossen. Heidelinde König, eine Schulfreundin von Werner.«
»Und wie sind Sie nach Hause gekommen?«, bohrte der Kriminalist weiter, ohne seine Ungeduld zu zeigen.
»Mit ihr. Sie hat mich heimgebracht.«
»Diese Heidelinde«, griff Specki den Namen auf, »die war auch noch am Albvereinshaus?«
»Sie hat mit uns das Lagerfeuer verlassen und ist auch noch mit rübergegangen, ja«, erwiderte sie und wandte den Blick vom Fenster, um Specki geradewegs anzusehen. Sie hat schöne Augen, stellte der Kriminalist bei sich fest, schöne blaue Augen, aber gerötet. Sie hatte geweint. Eine zusammengeklappte Brille lag vor ihr auf dem Tisch.
»Heidelinde König«, wiederholte er ruhig und notierte die Adresse. Dann ließ er eine halbe Minute verstreichen. Er brauchte jetzt Geduld. Denn nur diese Frau, so schien es, konnte ihm helfen, das persönliche Umfeld des Toten zu beleuchten. In der deutlichen Mehrzahl der Fälle, das wusste der erfahrene Ermittler, gab es eine Täter-Opfer-Beziehung. Nur wenn internationale Bandenkriminalität dahintersteckte oder gar geheimdienstliche Aktivitäten, kam es vor, dass gedungene Mörder aus Südosteuropa anreisten, ihr schmutziges Geschäft mit einer Kalaschnikow erledigten und innerhalb weniger Stunden wieder außerhalb der EU-Staaten untertauchten. Gelang es ihnen, die Grenzen noch zu überschreiten, ehe das Verbrechen entdeckt wurde, hatten sie allergrößte Chancen, ungestraft zu bleiben.
»Darf ich Sie fragen, wie lange Sie Herrn Heidenreich kannten?«, wagte Specki nachzufragen.
Sabine dachte nach. »Im August wäre es ein Jahr geworden.«
»Sie wohnten nicht zusammen?«
»Nein, aber wir haben es geplant.« Sie schloss die Augen. Ein schöner Traum war mit einem Schlag zerstört worden.
»Was können Sie zu Herrn Heidenreichs Bekanntenkreis sagen?«
Sie sah den Kriminalisten verwundert an. »Was ich da weiß? Nicht viel. Wenn Werner – Herr Heidenreich – und ich zusammen waren, dann gab es niemanden, der dabei gewesen wäre.« Specki glaubte, den Anflug eines Lächelns in ihrem aschfahlen Gesicht bemerkt zu haben.
Der Seelsorger blinzelte ihr verständnisvoll zu.
»Und was war Herr Heidenreich von Beruf?«
»Eigentlich Polizist …« Specki sah sie verwundert an, doch sie relativierte: »Nein, er war Finanzbeamter. Aber nicht vom Finanzamt, wie Sie jetzt vielleicht meinen. Er war bei der Steuerfahndung.«
Das musste nicht unbedingt was Unehrenhaftes sein, dachte Specki. Solange sie den großen Schwindlern auf der Spur waren, hatte er gegen diese Kollegen nichts einzuwenden. »Wieso sagen Sie ›eigentlich Polizist‹?«
»Soweit ich weiß, hat er die Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei durchlaufen – und später umgesattelt.«
Das kam vor, wusste Specki. Er kannte einige aus seiner
Weitere Kostenlose Bücher