Glasklar
Notfallseelsorger zu bitten, sich weiterhin um die Frau zu kümmern, als Sabine Braunstein völlig unerwartet einen Einfall hatte: »Da ist doch etwas«, sagte sie, und Specki blieb vor ihr am Tisch stehen, »ein Brief sei gekommen, hat er gesagt. Anfang der Woche …«
Uli Bayreuter und Gustav Brandt, zwei große, kräftige Männer, die sich mit der Landschaft ebenso identifizierten wie mit den Menschen und deren Mentalität, waren mit dem Geländewagen bis zur Absperrung gefahren. Bayreuter lehnte sich aus dem Seitenfenster und erklärte dem jungen Uniformierten, dass sie von Kommissar Häberle hergebeten worden seien. Der Polizist wies ihn an, das Fahrzeug rückwärts in einen abzweigenden Forstweg zu parken.
Bayreuter setzte seinen breitkrempigen, olivgrünen Hut auf, der ihn gegen die pralle Sonne schützen sollte, die hier jedoch hinter dem dichten Wald stand. Die beiden Männer gingen die knapp 200 Meter zum Albvereinshaus hinüber, vor dem die Biertischgarnituren bereits von Wandergruppen besetzt waren. Ein paar Schritte von ihnen entfernt, an einem kahl geschlagenen Aussichtspunkt, diskutierte ein halbes Dutzend Personen, um welche Ortschaften es sich dort unten im Tal handelte. Einer aus der Gruppe behauptete, dass man an klaren Tagen sogar den Fernsehturm von Stuttgart sehen könne. Doch dazu war der Sommervormittag viel zu dunstig.
Uli Bayreuter nahm seinen Hut vom Kopf und ging auf einen Uniformierten zu, dessen silberne Sterne seiner Schulterklappe darauf schließen ließen, dass er zu den höheren Rängen zählte. Er stellte sich und seinen Freund Gustav Brandt vor und bat, zu Häberle vorgelassen zu werden.
Der schnauzbärtige Uniformierte, bei dem es sich um den Leiter des nahen Polizeireviers Geislingen handelte, brachte sie ins Nebengebäude, wo der Chefermittler in einem der kleinen Räume saß und ein Handygespräch führte. Als er die beiden Männer bemerkte, beendete er sein Telefonat und bat sie höflich, Platz zu nehmen. Der Uniformierte, der die beiden Besucher hereingebracht hatte, wandte sich bereits zum Gehen, wurde jedoch von Häberle aufgefordert, zu bleiben.
»Das ist Herr Watzlaff, Revierchef von Geislingen«, stellte ihn Häberle den anderen vor, die dieser mit Handschlag begrüßte.
»Danke, dass Sie so schnell gekommen sind«, sagte Häberle, nachdem sich Gustav Brandt als der Waldbesitzer zu erkennen gegeben und seinen Freund Uli Bayreuter vorgestellt hatte. »Der Wirt hat uns einige Namen genannt«, fuhr der Chefermittler fort, während sie sich endlich an den verschrammten Holztisch setzten. Er erklärte kurz, dass es sich bei dem Toten, der beim Mammutbaum aufgefunden worden sei, um Werner Heidenreich handele und dass es wichtig sei, den Ablauf des gestrigen Abends möglichst detailgenau zu rekonstruieren. »Herr Heidenreich war ein alter Schulfreund von Ihnen?«, fuhr er fort.
Beide nickten, und Brandt ergänzte sachlich: »Ein Schulfreund und seit einem halben Jahr auch Mitglied der ›Wilden Gesellen‹ – unserer Männergesangsgruppe. Vielleicht haben Sie schon mal etwas von ihr gehört.«
Häberle erinnerte sich an einen Zeitungsartikel. Watzlaff stimmte eifrig zu: »Eine tolle Gruppe, kenn ich.«
»Weil wir gestern Abend drüben am Haus gesungen haben, konnte ich nicht beim Lagerfeuer dabei sein«, erklärte Brandt. »Schade, ja, aber man kann halt nicht überall sein. Werner wollte allerdings lieber mit den Schulfreunden feiern.«
Uli Bayreuter ergänzte: »Bei uns anderen – dort hinten.«
»Und später ist er dann zum Haus gekommen«, stellte Häberle fest. Er ging zum Fenster und öffnete es.
»Muss wohl so um halb zwei gewesen sein, schätz ich mal«, entgegnete Brandt.
»War er allein?«
»Nein, seine Sabine war noch kurz dabei – und Heidelinde, eine Schulkameradin. Aber die beiden Frauen sind früher heimgegangen. Jedenfalls waren sie plötzlich weg. Verabschiedet haben sie sich wohl nicht, soweit ich mich erinnere.«
Häberle wandte sich an Bayreuter: »Und das Feuer haben die drei aber gemeinsam verlassen?«
Bayreuter runzelte die Stirn. »Ich glaub schon – aber legen Sie mich bitte nicht fest. Unsere Gruppe hat sich nach und nach aufgelöst. Wer wann und mit wem gegangen ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Jedenfalls waren meine Frau und ich die Letzten. Vor uns ist Joachim runter, vielleicht fünf Minuten früher.«
Brandt griff den Hinweis auf diesen Namen auf: »Den Joachim müssten Sie kennen – Joachim Hilscher.« Er sah zu
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