Glasklar
nach den stundenlangen Vernehmungen inzwischen Mühe hatte, seine Gedanken zielgerichtet zu lenken. »Was ich nicht so richtig verstehe«, kam er deshalb wieder auf das eigentliche Thema zurück, »das sind die Proteste gegen den Tunnel. Bisher war ich der Meinung, dass Umweltschützer eher für Tunnellösungen sind, weil damit Lärm und Landschaftsverbrauch minimiert werden.«
»Das sehen Sie absolut richtig«, erklärte Pettrich, der jetzt die Chance gekommen sah, seine Kompetenz zu beweisen. »Aber es müssen riesige Mengen Abraum weggeschafft werden – und dies über Jahre hinweg. Die Frage ist, wo schüttet man solche gewaltigen Massen hin. Und was noch viel bedenklicher erscheint, ist die Geologie im Innern unserer Schwäbischen Alb. Kalkgestein. Wissen Sie, was das bedeutet? Kalk ist wasserlöslich. Über Jahrmillionen hinweg haben sich Hohlräume gebildet. Manche sagen, die Alb sei innen wie ein Schweizer Käse – nix als Löcher. Die Schauhöhlen, die wir hier haben – Charlottenhöhle, Bärenhöhle, und wie sie alle heißen –, sind doch nur ein winziger Bruchteil dessen, was man zufällig mal entdeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Ganz zu schweigen davon, was bei irgendwelchen Bauprojekten still und heimlich zubetoniert wird, weil man Angst hat, so ein Höhlenfund könnte zu Verzögerungen führen.« Pettrich erntete einen gestrengen Blick von seiner Ehefrau, die offenbar vermutete, er hole zu weit aus. Doch wenn er zur Eisenbahn gefragt wurde, ließ er sich nicht beirren. »Denken Sie an die Laierhöhle«, machte er deshalb weiter. »Droben im Geislinger Stadtbezirk Weiler. Das tiefste Höhlensystem der Alb, mehrstöckig und verzweigt wie ein Labyrinth. Ein absoluter Zufallsfund und der Ehrlichkeit eines Hausbauers zu verdanken. Beim Aushub für seine Garage hat sich plötzlich ein Loch aufgetan und dort befindet sich jetzt ein ordentlich angelegter Einstieg – allerdings ist die Höhle nur für Experten zugänglich. Ich war nie drin.«
Speckinger hatte davon gelesen. Offenbar standen dort einige Häuser über gewaltigen unterirdischen Hohlräumen, in denen locker ganze Festhallen Platz hätten. »Und was bedeutet dies für den Eisenbahntunnel?«, lenkte er das Gespräch wieder in die gewünschte Richtung.
»Dass sie auch dort drüben in Weilheim beim Bohren auf enorme Höhlungen treffen und diese mit riesigen Mengen Beton auffüllen müssen«, erklärte Pettrich.
»Aber das ist doch technisch machbar.«
»Natürlich. Das beweist das jüngste Beispiel ›Blessbergtunnel‹ in Thüringen für die ICE -Neubaustrecke München-Berlin. Aber wenn solche Hohlräume mit Wasser gefüllt sind – was in den unteren Schichten der Fall ist, wie uns die Quellen am Albrand ja zeigen –, dann werden diese unterirdischen Wasserläufe unterbrochen und umgelenkt. Die Folgen sind, das muss man ehrlicherweise sagen, nicht absehbar.«
»Aber ich denke, man hat Probebohrungen vorgenommen? Außerdem hat die Menschheit schon Tunnel durch Gebirgszüge gebaut, die viel massiver sind als die Schwäbische Alb. Die ist im Vergleich dazu ein läppischer Maulwurfshügel.« Speckinger verzog das Gesicht zu einem Grinsen.
»Auch das ist sicher richtig«, räumte Pettrich ein, »nur sind die geologischen Verhältnisse, wie ich vorhin bereits angedeutet habe, selten vergleichbar. In diesem Punkt gebe ich den Tunnelgegnern sogar ein bisschen recht.«
Der Kriminalist sah die Gelegenheit gekommen, wieder auf das Mordopfer anzuspielen. »Und Herr Heidenreich hat dies alles kritisiert?«
»So jedenfalls ist es rübergekommen, ja. Er hat sich enorm reingekniet, das muss man ehrlicherweise sagen.« Pettrich blickte zu seiner Frau, die zustimmend nickte. »Und er hat sich dabei sogar mit Höhlenforschern zusammengetan.«
»So?«, zeigte sich Speckinger interessiert. »Er war demnach darauf bedacht, fundierte Informationen zusammenzutragen?«
»So könnte man das sehen, ja«, erwiderte Pettrich, dessen Frau sich jetzt wieder in das Gespräch einschaltete: »Gestern Abend hat er sogar mal die Bemerkung gemacht, er habe jetzt einen Experten an der Hand, der sich mit der Geologie in den Alpen befasse.«
Speckinger wirkte erstaunt. »Weiß man, woher?«
Frau Pettrich zuckte mit den Schultern. »Irgendeiner aus Österreich – Näheres weiß ich nicht.«
15.
Seit einer Stunde bereits versuchten Gustav Brandt und Uli Bayreuter, die entscheidenden Augenblicke der vergangenen Nacht zu rekonstruieren. Nach ihrer
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