Glasklar
abgeht.«
Der Beamte stoppte die Wiedergabe. »Das hört sich zunächst nur so an, als seien wir zufällig Ohrenzeugen einer Autofahrt geworden«, meinte er. »Aber jetzt kommt es.«
Er klickte wieder auf ›Play‹, und eine nach Verzweiflung klingende laute Stimme sagte: »Lassen Sie mich bitte raus!« Wieder das Rauschen, dann noch einmal diese Stimme: »Das ist eine Entführung!«
Wieder stoppte der Beamte die Wiedergabe. »Spätestens jetzt bin ich davon überzeugt, dass wir nicht zufällig zu Ohrenzeugen wurden, sondern ganz bewusst. Da hat jemand heimlich den Notruf gewählt.«
Keiner der Kriminalisten wollte etwas dazu sagen. Die Wiedergabe ging weiter: »Seien Sie doch still!«, sagte eine ärgerliche Stimme, die weiter vom Telefon entfernt zu sein schien.
Der Beamte stoppte erneut. »Und jetzt – hört mal genau hin –, jetzt kommt ein ganz wichtiger Hinweis auf die Position.« Er ließ die Aufzeichnung weiterlaufen: »Sie fahren ja gar nicht zum Grünenberg, sondern in dieses Tal raus.« Rauschen und dann Stille.
»Aus«, erklärte der Beamte. »Verbindung unterbrochen. Entweder ausgeschaltet oder kein Funknetz mehr.«
»Was ist veranlasst?«, fragte Häberle knapp.
»Zwei Streifen sind unterwegs. Aber …« Er sah den Chefermittler hilflos an. »Die eine ist gerade in Weißenstein draußen, die andere in Hohenstadt. Sie wissen ja, wie wir besetzt sind.«
Häberle und Watzlaff hatten seit Jahren schon die Ausdünnung der Streifen bemängelt, dabei aber keinerlei Gehör gefunden. Weißenstein, so überlegte Häberle, war gut und gerne zehn Kilometer entfernt – und Hohenstadt fast das Doppelte. Wertvolle Minuten würden vergehen, bis eine der Streifen in diesem bewaldeten Gebiet eintraf.
»Hubschrauber?«, hakte Häberle deshalb nach.
Der Angesprochene zögerte, doch dessen Kollege, der sich inzwischen ihnen zugewandt hatte, nickte eifrig. »Werd ich veranlassen.«
»Kann man rauskriegen, wem das Handy gehört?« Häberles Frage klang eher wie eine Bitte, dies möglichst schnell einzuleiten. Dass es machbar war, auch bei nicht übertragener Nummer das Gerät zu ermitteln, war ihm schon oft eine Hilfe gewesen. Im Übrigen war ihm auch die Stimme dieses verzweifelten Anrufers irgendwie bekannt vorgekommen.
»Und wie ist das mit einer Ortung?«, fragte er, während ein Beamter bereits mit der Hubschrauberstaffel des Landes Kontakt aufnahm. Eine Helikopter-Mannschaft war rund um die Uhr einsatzbereit, entweder am nahen Flughafen Echterdingen oder am Baden-Airport Karlsruhe/Baden-Baden.
»Ortung geht nur, wenn das Handy eingeschaltet ist«, erwiderte der andere. »Ich geh mal eher davon aus, dass der Akku leer geworden ist.«
»Wenn’s das nur ist …«, seufzte Häberle und entschied, auch ins Gelände zu fahren. Er winkte Linkohr zu, der sofort begriff. Schon lange hatte er auf einen solchen Augenblick gewartet. Nichts war lehrreicher und interessanter, als mit dem Chef auf Ermittlungstour zu gehen.
Heidelinde König war an diesem Sonntagabend fix und fertig. Das Gespräch mit Speckinger hatte sie nervlich mitgenommen. Seither saß sie auf dem Balkon ihrer kleinen Wohnung und zermarterte sich den Kopf, wie die vergangene Nacht verlaufen war. Immer und immer wieder spielten sich vor ihrem geistigen Auge die gleichen Szenen ab. Wie sie sich beim Weggehen Werner und Sabine angeschlossen hatte, wie sie noch zum Albvereinshaus gegangen waren – und wie sie sich dort von Werner verabschiedet hatten, weil er noch bei seinen ›Wilden Gesellen‹ bleiben wollte. Dann der Abstieg zum Parkplatz am Gairenbuckel, vorbei am Mammutbaum, wo kurze Zeit später das Schreckliche geschah. Ihre Gedanken spielten verrückt. Zwischen die gestrigen Szenen schoben sich die Bilder der jüngsten Verhandlung mit dem Familienrichter, der sich um jedwede Entscheidung zu drücken schien, ohne dass man ihm hätte ›Feuer unter dem Hintern‹ machen können, wie sie es schon mehrmals gegenüber ihrem Anwalt gefordert hatte.
Ihr Blick ging ins Leere. Längst war die Nacht hereingebrochen und die ersten kühlen Luftströme krochen übers Albvorland. Sie fröstelte und entschied, sich in die Wohnung zurückzuziehen, als das Telefon anschlug. Heidelinde erhob sich langsam, um in die schwülwarme Diele zu gehen, wo das drahtlose Gerät lag. Sie meldete sich und lauschte auf die weibliche Stimme. Es war Katrin Fellhauer, die gestern Abend wie immer kaum gesprochen hatte.
»Entschuldige«, begann sie vorsichtig, und
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