Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
Ancienne Cologne stammt?«, fragte Chris. Er ignorierte den Disput zwischen Camilla und Grimm.
»Ja.« Nathanael schwieg einen Moment.
Bei ihm schien es keine Kunstpause zu sein. Er tastete über seine Stirn. Die Betroffenheit in seiner Mimik verdeutlichte, dass er sich jetzt erst über den Umkehrschluss klar zu werden schien. »Du bist ja Amelies Kind.« Irritiert schüttelte er den Kopf.
»Andreas und seine Schwester waren die Nachkommen der ältesten Familienlinie in Ancienne Cologne.« Seine Worte klangen wie von sehr weit her. Er sprach nicht mehr mit ihnen, sondern weckte seine verstaubten Erinnerungen.
»Ich erinnere mich, dass Amelie damals aus der Stadt floh, weil sie verraten wurde. Nachdem dieses Schwein sie ausnutzte und sie wegwarf, als er sie nicht mehr brauchte, ertrug sie die Stadt nicht mehr. Sie wollte frei sein. Amadeo und seine herzlose Brut hielten sie wie eine elende Puppe gefangen in der Finsternis.« Grimm klang so verletzt und bitter, dass sich Camillas Herz zusammenzog. Zugleich glomm in seinen Augen unversöhnlicher Hass, der sich in ihre Seele fraß.
Auch er hegte Gefühle. Sie biss sich auf die Zunge, bevor ihr der Gedanke über die Lippen kam.
»Sie wollte immer frei sein. Ein Leben im Licht war ihr Traum.« Seine Lippen zitterten. Die Erinnerung an seine Schwester setzte ihm zu. Er litt unter dem Verlust seiner großen Schwester.
Die Amelie, die sie kennengelernt hatte, war handzahm, fürsorglich und massenkonform. Er sprach von einer zutiefst unzufriedenen Rebellin. Das deckte sich mit Christophs Aussage.
Eine Puppe zu werden, bedeutete also, der Gemeinschaft auf ewig zu dienen? Camilla presste die Kiefer aufeinander, bis ihre Zähne wehtaten. »Warum ist sie zurückgekommen?« Sie richtete ihre Frage direkt an Grimm.
»Sie hatte kein Glück oben. Dort fand sie kein Zuhause. Sie war krank, einsam und bereits als Kind eine verbitterte Frau.«
»Haben Sie Amelie je verfolgt und gejagt?«, fragte Chris.
»Sicher. Ich brauchte sie für meine Zwecke.«
Nathanaels Offenheit schockierte sie nicht mehr. Chris schwieg nachdenklich.
»Amadeo konnte sich als Retter profilieren, nehme ich an?« Selten nutzte sie von sich aus herablassende Bemerkungen, aber allein die Handlungen des Alten brachten sie aus der Fassung.
»Amadeo nahm sie in seiner großen Güte wieder auf«, entgegnete Grimm. Seine Stimme triefte vor Hohn. »Amelie war halb verrückt von dem Dreck, den sie in ihren Adern hatte und zerstörte mit ihrem Können Stück um Stück die heilige Gemeinschaft Ancienne Colognes .« Er unterbrach sich und hob die Hand. »Dort oben hatte sie es nicht anders kennengelernt. Das war ihre Art, zu überleben. Sie ertrug die Enge Ancienne Colognes nicht mehr. Das konnte der Alte nicht zulassen. Aber er lauerte.« Sein Finger schoss vor. Er deutete auf Chris. »Er wartete auf den kleinen Bastard, der in ihr heranwuchs.« Erneut funkelten Grimms Augen von kaum verhaltenem Hass.
Chris presste seine Lippen aufeinander.
»Amadeo hat Amelie vernichtet. Vor deiner Geburt zerstörte er den Verstand meiner Schwester, nachdem du da warst, ihren Körper!«
Camilla begriff Grimms tief sitzenden Hass. Er gab Chris die Schuld an Amelies Niedergang. So, wie er über sie sprach, liebte er seine große Schwester abgöttisch. Obwohl Camilla Grimm nicht mochte, berührten seine Gefühle sie. Wie Amelie und Christoph wurde er Opfer des Kampfes, den Amadeo so erbittert gegen seinen selbst geschaffenen Schattenfeind führte.
»Aber so kann sie wenigstens bei ihrem Sohn sein«, sagte Camilla leise.
Grimms Lippen bebten. Er zog die Brauen zusammen, bevor sein Blick zu Chris zuckte. In den Gesichtern beider Männer arbeiteten die Gefühle. Bevor Grimm jedoch antworten konnte, hob Nathanael die Hand.
»Beruhige dich bitte, Andreas. Christoph ist nicht der Schuldige. Er befindet sich in der gleichen Situation wie du.«
Schweigend stützte Grimm sich wieder auf die Arbeitsplatte des Schrankes. Nathanael ließ einige Sekunden verstreichen, in denen sich Grimm und Chris wieder fangen konnten. Sie umarmte Christoph fest. Er zögerte, bevor auch er sich fallen ließ. Der Druck, den er auf ihre Rippen ausübte, nahm zu.
»Erstick mich bitte nicht«, flüsterte sie.
Chris ließ nach. Seine Finger vergruben sich in ihrem Haar. Camilla wünschte sich in der Sekunde, dass sie nicht nur nachvollziehen konnte, was er fühlte, sondern Einsicht in seine Gedanken erhielt. Sie fürchtete sich am meisten vor seiner
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