Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
zurückfallen und schloss die Augen. Er rieb sich die Nasenwurzel und massierte seine Stirn.
»Woher kennt ihr die Stadt?« Camillas Stimme bebte.
Ihre Mutter schwieg. Sie nippte an ihrem Glas, setzte es aber schließlich ab. »Dein Vater kommt von dort.«
Kapitel 17
Lebenslüge
F assungslos starrte Camilla ihre Eltern an. Was sollte das bedeuten? Sie schüttelte den Kopf. Das war doch Quatsch. Sie entstammte einer urhessischen Familie. Schließlich war sie bei der Beerdigung ihrer Großeltern jeweils dabei gewesen. Die Eltern ihres Vaters lagen auf dem Bockenheimer Friedhof, die ihrer Mutter auf dem in Rödelheim. War selbst das eine Lüge?
Sie lachte humorlos auf. »Hört mit dem Unfug auf. Das ist nicht lustig.«
»Sorry, Camilla, aber das Gefasel kann man nicht ernst nehmen.«
»Halten Sie sich da raus, Herr Habicht.« Camilla presste die Kiefer aufeinander.
»Das ist kein Unsinn.« Camillas Mutter presste die Lippen zu einem blutleeren Strich zusammen.
»Kann das sein?«, fragte Chris.
Sie schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Das ist vollkommener Quatsch. Wir …«
»Camilla, halt den Mund.« Die Stimme ihres Vaters klang übermäßig laut. Sie überschlug sich. Aus brennenden Augen starrte er sie an.
Sie prallte zurück. Es stimmte also? »Aber meine Großeltern …« Sie verstummte, als ihr Vater wieder kraftlos in sich zusammensank. Ihre Welt geriet ein geringes Stück weiter aus den Fugen.
»Das zu erklären, ginge jetzt zu weit«, sagte ihre Mutter.
»Nein, erzählen Sie«, bat Weißhaupt.
Zustimmend nickte Chris. »Ich stamme selbst von dort. Umso mehr interessiert mich, wer Sie sind und was Sie mit meiner Heimat zu tun haben.« Unterschwellig drang eine düstere Drohung in seinen Worten mit, die Camilla nicht verstand.
Sie wusste bei Weitem nicht alles über die Stadt und nur leidlich viel über Christoph. Sein Lauern war ihr vollkommen fremd.
Obwohl es fast unmöglich war, erbleichte ihr Vater noch etwas mehr. Er schüttelte den Kopf.
Camilla wollte die Wahrheit, jetzt, sofort. Ihr war vollkommen gleichgültig, was Weißhaupt, Habicht und Ralph dachten. Sollten sie sie für durchgeknallt halten, auch gut. »Verdammt, antworte auf Christophs Frage.« Ihre Stimme klang nicht laut, aber scharf.
Erschrocken zuckte ihr Vater zusammen.
»Seit wann bist du ein feiger Duckmäuser?« Ihr war klar, dass sie über die Stränge schlug. Sicher blieb ihr Tonfall nicht ohne Konsequenz, aber es war ihr egal.
»Camilla …«
»Ich will Antworten, Paps. Selbst Nathanael hat mir ehrlich geantwortet. Wenn der, vor dem ganz Ancienne Cologne zittert, mir Rede und Antwort steht, kann ich dasselbe von dir erwarten.«
Bei Nathanaels Erwähnung zuckte nackte Angst in den Augen ihres Vaters. Camilla erkannte, dass sie ihn nicht weiter bedrängen konnte. Er stand kurz davor, zusammenzubrechen. Die Erkenntnis tat weh. Ihr Vater, der Feigling. Mitleid empfand sie nicht. Sie nahm sich die Zeit, den Blick schweifen zu lassen. Alle Aufmerksamkeit ruhte auf ihr und ihrem Vater, der sich nur mühsam fasste.
Chris’ Finger krampften sich um die Bierflasche, bis die Fingerglieder und Knöchel weiß hervortraten. Der Zorn in seinen Augen sprach von den gleichen Gefühlen, die auch Camilla in sich trug. So, wie Amadeo ihn im Ungewissen gelassen hatte, handelten offenbar auch ihre Eltern.
Ralph erhob sich. »Ich glaube, ich hole eine Flasche Cognac.«
Melanie beobachtete Camillas Eltern. Sie hielt sich offenbar bereit, einzugreifen, sobald die Situation endgültig zu eskalieren drohte.
Die Reaktion ihrer Eltern entsetzte Camilla und das Verhalten der Beamten erleichterte die Situation nicht gerade. Eine Seite wollte nicht reden, die andere nicht glauben.
Weißhaupt massierte seine Schläfen. »Das ist alles ziemlich verrückt.«
»Du glaubst den Scheiß doch nicht, Bernd, ich bitte dich.« Missmutig schüttelte Habicht den Kopf.
»Was Camilla sagte, ist wahr.« Melanie erhob sich.
Sprachlos beobachtete Camilla ihre Freundin. Melanie setzte ihre Integrität aufs Spiel. Wenn es ihnen nicht gelang, die Beamten zu überzeugen, würde Melanie nie wieder ihre Glaubwürdigkeit zurückerlangen.
»Nicht Sie auch noch.« Habicht stand auf. »Bernd, ich will mir den Unfug nicht länger anhören. Ich habe noch haufenweise Arbeit und muss mit den internen …«
»Matthias, setz dich bitte.« Weißhaupts Ton unterband jeden Protest.
Der Widerwille sprach so deutlich aus Habichts Zügen, dass Camilla seine
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