Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
Verantwortung für unzählige Morde. Er war der Schöpfer des Sandmanns. Er erschuf aus dem arbeitseifrigen Träumer Nathanael ein Monster. Er … nur er.
»Wir haben viele Details der neuen Mordserie bislang nicht an die Presse weitergeleitet.« Weißhaupts Stimme klang belegt. »Sie unterscheidet sich geringfügig von den vorangegangenen Morden.«
»Wie passt Ihrer Meinung nach Grimm in die ganze Sache?«, fragte Chris.
Weißhaupts Blick umwölkte sich.
Habicht beobachtete seinen Kollegen. Seine Finger krampften sich um die Stuhllehne. Anhand der Bitterkeit in seinen Zügen war er offenbar mit Grimm befreundet. »Interna geben wir grundsätzlich nicht weiter.«
So ein Unfug. Camilla spannte sich. »Er hat mich bis in die Katakomben unter der Stadt getrieben.« Sie biss sich auf den Piercingring . Zu impulsiv, dachte sie.
Habicht fixierte sie kalt. »Das weiß ich bereits. Seitdem ist er verschwunden.« Seine Augen verengten sich. »Was ist passiert?« Seine Haltung wirkte wie eine körperliche Drohung.
Camilla erschrak. Zugleich wurde ihr bewusst, dass Habicht keinerlei besondere Begabung besaß. Er konnte nicht in die Köpfe anderer Menschen sehen und ihre Gedanken manipulieren. Er schien auch keine Puppe zu sein. Dazu verhielt er sich viel zu wenig wie Grimm.
Melanie schaltete sich ein. »Geben Sie Camilla Zeit, Herr Habicht. Sie hat in den vergangenen Tagen verdammt viel erlebt und ziemlich viel herausgefunden.«
»Sie wieder mit Ihrem Mutter-Teresa-Tick.«
»Ich bin immer noch ihre Ärztin.« Wütend funkelte sie ihn an.
Camilla spürte wieder ihre tiefe Dankbarkeit gegenüber Melanie und überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte, ohne dafür eingeliefert zu werden. Bevor die Situation noch unangenehmer wurde, musste etwas geschehen.
»Sag alles«, riet Chris.
Sie presste die Kiefer aufeinander. Wie würde das für die anderen klingen? Chris kannte die Wahrheit, vielleicht besser als sie.
»Wir kennen nicht alle Zusammenhänge, aber die relevantesten«, sagte Chris ruhig.
Melanie nickte. »Die beiden haben einiges Erschreckendes herausgefunden.« Ihr Blick glitt zu Weißhaupt. »Mehr als Sie, lieber Freund.«
Weißhaupt nickte gezwungen. Er ließ sich in seinem Stuhl nach hinten sinken. Offenbar musste er erst mal die Worte verdauen.
Camilla sah in die Runde. »Es ist wichtig, dass Chris und ich hier in Berlin bleiben. Aber allein sind wir hilflos.«
»Ein Mörder läuft frei herum.« Die Worte ihres Vaters klangen fahl, zwar ehrlich, aber zugleich auch nicht ernst gemeint. Das Gefühl, das er vermittelte, war schlecht überspielte Panik.
Camilla ignorierte ihn. Sie schloss die Augen und sammelte sich. Von ihrer Wortwahl hing dieses Mal viel ab. Vielleicht konnte sie ihre Fähigkeit sogar zugunsten ihrer Pläne einsetzen. Sie hob die Lider und sah alle Anwesenden an. »Wollt ihr, dass diese Morde enden?«, fragte sie ruhig.
Niemand antwortete. Ging ihre Taktik nicht auf? In den Augen Weißhaupts sah sie leisen Ärger. Sie wandte sich direkt an ihn. »Chris und ich können Ihnen helfen, Grimm zu fangen und die Morde zu beenden.«
Mit hochgezogener Braue musterte Habicht sie. Der Kerl demonstrierte reine Herablassung. Er nahm sie nicht ernst. Sollte er doch erst mal zuhören. Für wahnsinnig erklären konnte er sie später immer noch.
»Tatsächlich?« Auch Weißhaupt klang nicht überzeugt. Er und Habicht blockten schon jetzt. Das konnte ja heiter werden.
Ihre Mutter saß bleich in ihrem Stuhl. Sie sank Stück um Stück in sich zusammen, während ihr Vater die Lippen aufeinanderpresste, bis sie nur noch einem dünnen, farblosen Strich ähnelten. Interessierte es die beiden nicht, was sie in Ancienne Cologne erlebt hatten? So wie ihr Vater sie anstarrte, wusste er davon. Wahrscheinlich war er auf irgendeine Art darin involviert. Nur wie? Verletzte Wut sammelte sich in ihrem Bauch. Sie wollte nicht auch noch von ihrer eigenen Familie belogen werden. Trotzig erhob sie sich, um nicht länger auf einer Augenhöhe mit ihren Eltern zu sein. Beiden war anzusehen, dass ihre Gedanken rasten. Sie suchten wahrscheinlich nach einer Möglichkeit, ihr den Mund zu verbieten. So nicht, dachte Camilla.
»Wenn du Informationen hast, solltest du sie weitergeben«, sagte Weißhaupt und schob das Aufnahmegerät in seine Hosentasche. »Dann erzähl mal.«
Es kostete sie Überwindung, von ihren Erlebnissen zu berichten. Habicht konnte sie wohl kaum begreiflich machen, dass zwei uralte Männer das Schicksal
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