Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
langsamer und blieb stehen. Sie konnte sich denken, was ihm durch den Kopf ging: Weiber am Steuer. Das konnte ja heiter werden. Die Pedale waren teils leichtgängiger, teil schwergängiger, als sie es gewohnt war.
Entspann dich , dachte sie. Sie wollte den Wagen nicht unbedingt überall abwürgen, wenn sie langsamer wurde oder anfuhr.
Vorsichtig sah sie sich um, damit sie gegen kein anderes Auto stieß, während sie die Straße entlangrollte. Sie versuchte auszumachen, welcher Wagen es war, in dem sie das Aufglühen gesehen hatte.
Als sie an einem Golf vorbeifuhr, blinkte in der Tür etwas auf. Camilla erschrak, bevor sie realisierte, dass es sich um eine Alarmanlage handelte. War das die Erklärung? Weißhaupt hatte auch etwas gesehen. Vielleicht reagierte sie über, aber das Gefühl von Gefahr blieb.
Schwach blaugrauer Dunst kräuselte sich im Wageninneren und stieg zur Decke. Leider fuhr sie zu schnell vorbei, um mehr erkennen zu können. Camilla versuchte, über den Rückspiegel die Situation hinter sich auszumachen, sah aber nur einen Teil der Stirn ihres Vaters und seiner Nackenstütze. Seine Augen wirkten hellwach. Er beobachtete. Ihm schien der Golf auch aufgefallen zu sein.
Sie fuhr langsam, der verkehrsberuhigten Straße angepasst. Der Audi vor ihr hielt sich ebenfalls an die Vorschriften. Kein einziges Fahrzeug kam ihnen entgegen und immer wieder zuckte Camillas Blick zum Rückspiegel. Nichts. Obwohl sie fast erwartete, die Scheinwerfer des Golfs zu entdecken, blieb die Nacht hinter ihr still und finster. Da war etwas, sie spürte die Verunsicherung ganz deutlich …
Verunsicherung? Manipulierte jemand ihre Gefühle? Grimm vielleicht? War er der Fahrer des Golfs?
Nervös beobachtete sie das Vorüberhuschen der Bäume, an denen sie vorbeifuhr. Die Stämme leuchteten im Scheinwerferlicht fahl auf.
Verbarg sich Grimm hier? Hoffentlich geschah Chris und Weißhaupt nichts.
Sie entdeckte die Ausschilderung zur Bundesstraße in Richtung Berlin. Weißhaupt bremste vor ihr. Auch sie verlangsamte und setzte den Blinker. Dank der späten Stunde gab es kaum Verkehr, der sie noch mehr verunsichern konnte. Sie folgte dem Audi in einem Bogen auf die B1 und überquerte eine Brücke. Die Straße verbreiterte sich zu einer zweispurigen Schnellstraße. Sie kamen an einem S-Bahn-Schild vorüber. Hier befand sich der Bahnhof, an dem sie vor rund vierundzwanzig Stunden angekommen waren. Trotz der Dunkelheit erkannte Camilla die erloschene Reklame eines Ausflugslokals und die Bushaltestelle nach Wannsee wieder.
Plötzlich flammte grelle Helligkeit hinter ihr auf. Im Spiegel reflektierte das Aufblendlicht. Geblendet kniff sie die Augen zusammen. Der Golf! Ihr Herz hämmerte wild.
»Gib Gas«, rief ihr Vater.
Ohne nachzudenken trat sie das Pedal durch. Der bislang ruhige Motor heulte auf, der Wagen machte einen Satz nach vorn. Die Beschleunigung presste sie in das Polster.
Für einen Moment vergaß sie, zu schalten, doch in das hysterische Jaulen des Motors mischte sich die herrische Stimme ihres Vaters. »Fünfter Gang.«
Hastig folgte sie der Aufforderung und hatte alle Mühe, nicht die Kontrolle über den Ford zu verlieren. Die Bundesstraße legte sich in eine ausgreifende Kurve.
Sie überholte den Audi auf der rechten Spur. Viel zu nah. Um ein Haar hätte sie den Wagen des Hauptkommissars gestreift. In buchstäblich letzter Sekunde gelang es ihr, den Mondeo weiter nach rechts zu ziehen. Scheiß Kurve.
Die Strecke vor ihr war frei und dunkel. Sie schaltete das Fernlicht ein und trat das Gaspedal wieder bis zum Boden durch. Die Tachonadel drehte schnell über hundert Stundenkilometer auf hundertvierzig hoch.
Die Scheinwerfer des Audis streiften den Rückspiegel. Schließlich gab auch Weißhaupt Gas. Der Golf nahm ebenfalls Tempo auf.
»Fahr schneller.«
Der Mondeo erreichte hundertachtzig Stundenkilometer.
Zu schnell, so hatte sie den Wagen nicht unter Kontrolle. Gefasst klappte ihre Mutter die Blende herab. Im Spiegel beobachtete sie, was hinter ihnen geschah.
Der Wagen schoss über die Bundesstraße. Camilla riskierte einen Blick in den Rückspiegel. Dichtauf folgte Weißhaupts Audi, doch auch der Golf beschleunigte gnadenlos. Wer immer der Fahrer war, konnte nicht sonderlich an seinem Leben hängen. Der Wagen näherte sich dem Heck des Audis bedrohlich. Wollte er den Audi etwa rammen?
Die Angst um Chris schnürte ihre Kehle zusammen. Sie konnte einfach nicht wegsehen.
»Achte auf die Straße«, rief ihr
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