Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
er, dass sie auseinandergerissen wurden.
Sie strich sacht über seine geballte Faust. Ich liebe dich.
Er entspannte sich keineswegs.
»Wie kann man nur so ignorant sein?« Seine Stimme bebte. »Ist das normal, dass alle Theresas Tod und den anderer Frauen akzeptieren, es den Bullen überlassen, und zur Tagesordnung übergehen?« Er sagte, was Camilla fühlte. »Begreift ihr nicht, dass Weißhaupt und Habicht diesen Mörder nie zur Strecke bringen werden, weil er ihnen Jahrhunderte Wissen und etliche Handlanger in manipulativen Positionen voraus hat? Er ist den Kommissaren um Längen überlegen.«
»Chris hat recht. Ihr und wir besitzen unschätzbares Wissen, vielleicht sogar die Fähigkeiten, Nathanael endgültig von seinem Weg abzubringen, aber das Einzige, was ihr wollt, ist abzuhauen, und Ancienne Cologne zurückzulassen. Das ist feiger Verrat.«
»Vielleicht sollten sich alle Parteien wieder beruhigen.« Weißhaupt trat zwischen Chris, ihre Eltern und Camilla. Seine massige Gestalt unterbrach den Blickkontakt. Er reichte ihr eine Visitenkarte. »Matthias bittet darum, dass du ihn anrufst.«
Sie hatte vollkommen verdrängt, dass der Kommissar noch hier war. Irritiert musterte sie ihn.
»Wir alle sollten uns Melanie und ihrem Freund nicht länger aufdrängen«, sagte Weißhaupt.
Aufdrängen – wie empfand Melanie das alles? Vermutlich nicht anders. Camilla suchte den Garten nach ihrer Freundin ab, entdeckte sie aber nicht. Nur Ralph reinigte gründlich den Tisch und räumte die leeren Flaschen zusammen.
Beobachtete er sie? Ihr rann ein Schauder über den Rücken. Der anfänglich nette, ausgeglichene Mann wirkte nun bedrohlich. Sie spürte seinen Blick nur zu deutlich. In dem schlechten Licht erahnte sie seine Mimik nur, trotzdem schien er zu lauern.
Schon um Melanie zu schützen, sollte sie hierbleiben … oder doch nicht? Möglicherweise brachte sie ihre Freundin damit in Gefahr. Vielleicht sollten sie lieber gehen und Weißhaupt beauftragte jemanden, ein Auge auf Melanies Sicherheit zu haben.
»Wir sollten eine Nacht über alles schlafen und morgen in Ruhe beratschlagen.«
»Okay. Aber ich werde in keinem Fall nach Frankfurt zurückkehren.«
»Du bist erwachsen, Camilla. Ich werde dir nichts befehlen.«
»Wohin sollen wir nun?«, fragte Chris. »Ich wohne zumeist hier. Aber ich will Camilla nicht allein lassen.«
Sie ahnte, weshalb er bei ihr bleiben wollte und in welchem Zwiespalt er sich befand. Einerseits fürchtete er um Melanies Sicherheit, andererseits rechnete er damit, dass ihre Eltern sie auch gegen ihren Willen mit zurücknahmen.
»Sie kommt mit ins Hotel«, befahl ihr Vater.
»Nein.« Weißhaupt schüttelte den Kopf. »So lang Grimm es auf die beiden abgesehen hat, stelle ich sie unter meinen Schutz. Camilla und Christoph kommen erst mal mit mir.« Er fackelte nicht lang, sondern legte seine klobigen Hände auf Chris’ und ihre Schultern und schob sie voran.
Erleichtert atmete sie auf. Lange hätte sie die Diskussion mit ihren Eltern nicht mehr durchgehalten. Die widersprüchlichen Gefühle, die in ihr tobten, jagten ihre Stimmung schlimmer als ein Orkan umher. Niedergeschlagenheit und Frustration, Wut und Aufbegehren rangen um die Oberhand. Am liebsten hätte sie ihren Vater geschüttelt, ihn angebrüllt, endlich den Mund aufzumachen und ihr alles zu erzählen.
Amadeos Sohn.
Noch immer hatte sie diese Aussage nicht verdaut. Sie mochte sich kaum ausmalen, was das bedeuten konnte. Nein, so weit war sie noch längst nicht. Sie schaffte es kaum, die Fäden zu entwirren, das brachte neue Fragen. Alles geriet wieder durcheinander. Bleierne Fassungslosigkeit lähmte ihren Verstand. Das alles war zu viel, selbst für den abgebrühtesten Geist.
Als sich Camilla von Melanie verabschiedete, fürchtete sie, ihre Freundin nie wiederzusehen. Sie umarmte die Ärztin fest und wollte sie für einige Sekunden nicht mehr loslassen. Tränen schossen in ihre Augen. Die Angst um Melanie schnürte ihre Kehle zusammen. Was sollte sie nur gegen dieses Gefühl tun? Über die Schulter beobachtete Camilla Ralph, der gutmütig wirkte. Was, wenn sie sich täuschte?
»Ich habe dich lieb, Kleines.« Melanie gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ich dich auch.« Camillas Stimme erstickte. »Wir sehen uns bald wieder.«
»Sicher.« In Melanies Worten schwang die gleiche tiefe Verzweiflung mit, die auch Camilla spürte.
Als sie sich von ihrer Freundin trennte, bemerkte sie, dass auch Melanies Augen feucht
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