Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
ihre Finger in das Sitzpolster, sobald Weißhaupt an einer Ampel zu seinem Vordermann aufschloss. Vermutlich vermischten sich in ihr Theresas souveräner Umgang mit der Gegenwart und die 200 Jahre Existenz fern der oberirdischen Entwicklung. Der Schritt, mitzukommen, musste sie Überwindung gekostet haben und viel Vertrauen schien sie in Weißhaupt und seine Fahrkünste nicht zu haben. Umso mehr bewunderte Camilla sie für die Entscheidung, sich überhaupt neben den Kommissar in ein Auto zu setzen.
Wenn sie all das auf sich nahm, lag ihr wirklich viel an dem Vorhaben, die Stadt vor Grimm, Denise, der Leichenfrau und Nathanael zu schützen. Camilla tat es leid, dass Olympia die Energie nicht für andere Dinge nutzte, die weitaus wichtiger waren – beispielsweise, Amadeo unschädlich zu machen.
Chris, der neben ihr saß, nutzte die wenigen Minuten, um Camilla festzuhalten. Auch sein Leben geriet immer mehr aus den Fugen. Obwohl er ein Lebenskünstler war, der zwischen Ober- und Unterwelt wanderte, fehlte ihm jeder Halt.
Behutsam zog sie ihn zu sich, um ihn zu küssen.
»Hört auf, wir sind da«, sagte Weißhaupt.
Dumpfe Hitze schlug ins Gesicht, als sie die Wagentür öffnete. Ihr schwindelte. Das beständige Wechselbad der Gefühle und besonders die Tatsache, dass sie seit gestern nichts gegessen hatte, setzten ihr zu. Es dauerte einen Moment, bis sich ihr Kreislauf wieder fing. Chris nahm ihre Hände.
»Geht es?«, fragte Weißhaupt, der sich zu ihr umwandte.
»Wie oft fragt ihr mich das heute noch?«
Eigentlich wollte sie nicht gereizt reagieren, aber sie baute ab. Jede seiner wohlgemeinten Fragen ging ihr auf die Nerven.
Weißhaupt ignorierte den Tonfall und sah sich nach Habicht um, der gezwungen war, in einer Seitenstraße zu parken. Plötzlich stutzte er.
Camilla folgte seinem Blick und ließ ihr Augenmerk die Straße entlangwandern, bis auch sie innerlich zusammenzuckte. Der große Mondeo, konnte das der Leihwagen ihrer Eltern sein?
»Irre ich mich?«
Chris löste sich von ihr und eilte die Straße hinab. Er blieb vor dem Wagen stehen, nickte und hielt den Daumen hoch.
Klar, dass er das Kennzeichen im Kopf hatte. In der vergangenen Nacht war Weißhaupt mit ihm lange genug hinter Camilla und ihren Eltern hergefahren.
Sie waren also definitiv auf der richtigen Spur.
Habicht und Amelie kamen um die Ecke. »Ihr werdet nicht glauben, wessen Wagen wir auf der Parkplatzsuche gefunden haben.« Er deutete über die Schulter zurück.
»Sagen Sie es nicht – Denise’ Golf.« Grimm und seine Freundin mussten über die Klosterstraße in die Unterwelten gestiegen sein und ihre Eltern oder zumindest ihren Vater mit sich genommen haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Nathanaels Bunker ihr Ziel.
Chris führte ihre kleine Gruppe sicher durch den Waisentunnel. Camilla fror erbärmlich und auch über Christophs Arme zog sich eine feine Gänsehaut. Ein jähes Gefühl, etwas sehr Wichtiges vergessen zu haben, ließ Camilla langsamer werden und schließlich stehen bleiben. Das Perspektiv – verdammt. Sie biss sich auf die Unterlippe. Es gelang ihr nicht, den Gedanken an dieses Gerät längerfristig zu fixieren. Regelmäßig verschwand dieses verfluchte Fernrohr aus ihrer Erinnerung, sobald ihr Geist sich mit einem anderen Problem befasste, fast so, als wollte die Wirklichkeit ein solches Artefakt umgehen.
»Was ist denn?«, fragte Amelie.
»Könnt ihr mir sagen, was das Perspektiv ist?«
»Es wurde gestohlen«, antwortete Olympia unwillig.
»Pascal sollte es zurückholen.« Amelie ignorierte Olympia, die ärgerlich den Kiefer vorschob. »Seit seinem Tod ist es fort.«
Weißhaupt war ebenfalls stehen geblieben. »Es liegt in der Asservatenkammer.«
»Dort ist es vielleicht am besten aufgehoben«, entgegnete Olympia ernst.
»Aber was ist es?«
»Darüber sollte niemand etwas wissen.« Olympia ging langsam an Weißhaupt vorbei.
Chris, der mit Habicht wartete, hielt sie zurück. »Was bewirkt das Ding?«
Sie schüttelte seine Hand ab. Plötzlich fuhr sie herum. Ihr verstörter Ausdruck ließ darauf schließen, dass sich Theresa in Olympias Persönlichkeit zwang. »Es ist Nathanaels erste Erfindung gewesen. Er brauchte es, um die Puppen zu bauen.« Ihre Stimme überschlug sich mehrfach in der Eile, in der sie sprach. Olympia würde es kaum gutheißen, dass sie dieses Geheimnis preisgab. »Damals hat er mit Alchemie und Wissenschaft experimentiert. Was herauskam, war das Perspektiv. Es ist unser aller
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