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Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Titel: Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Meurer
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erschöpft, um sich zu fangen. Müde ließ sie den Arm sinken und das Feuerzeug zuschnappen. Die Umgebung war ihr egal …
    Was war das? Camilla schnippte das Sturmfeuerzeug wieder auf. Etwas passte nicht in das eintönige Bild betonierter Wände und gemauerter Schächte.
    Als die Flamme aufflackerte, stand Camilla vor den gestauchten Verstrebungen eines Fachwerks. Die Lehmfüllung platzte an einigen Stellen heraus. Blasse Farbreste nah des Tragwerks zeugten davon, dass der Putz einst bemalt worden war. Behutsam strich sie über die Wand. Sie spürte Holz, Stroh und Sand. Auf den Überresten staubverkrusteter Bleiglasscheiben brach sich die Flamme. Dicht über ihr spannten sich verzierte Träger, in die Worte eingeschnitzt waren.
    Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie, die Schrift zu lesen. Nachdem sie mehrfach die Länge des Balkens abgegangen war, hatte sie die Inschrift verstanden:
    GOTTES ZORN RIS MICH HIER NIEDER, GOTTES GNADE BAUDT MICH AUCH WIEDER. ALLES IST AN GOTTES SEGEN UND AN SEINER GNADT GELEGEN. GEBAUDT ANNO 1681 12ten JULIUS.
    Das hier war eine Hauswand. Camilla trat einige Schritte zurück und betrachtete das unterirdische Haus. Sie entdeckte Fensterläden und einige halbwegs erhaltene Ornamente auf dem Lehm. Was immer hier passiert war, es musste sehr lang her sein. Auch wenn sie durstig war, müde und verzweifelt, so konnte sie sich doch nicht dem Zauber dieses Ortes entziehen. Neugierig ging sie weiter und sah sich gründlich um. Hier gab es noch weitaus mehr Gebäude wie dieses. Alle möglichen Häuser aus verschiedenen Epochen waren Teil dieses Komplexes.
    Der Gang öffnete sich in eine weite Höhle, deren Dimensionen sie nur anhand des leise wiederkehrenden Echos ihrer Schritte ausmachen konnte. Teilweise standen Gebäude in verfestigtem Schlamm eingesunken, andere waren offensichtlich übereinander gebaut worden. Die neueren hatten die alten mit ihrem Gewicht niedergedrückt oder unter sich begraben. So bizarr der Anblick war, so sehr schlug er sie auch in seinen Bann. Atemlos betrachtete sie diese ruhige, ferne Welt. Sie entdeckte alte Hütten aus der Spätantike, befestigte Gebäude aus dem Mittelalter und geschmückte Bauten des Barock. Die Entdeckung versetzte sie in einen euphorischen, verzückten Zustand. Sie hatte ein versunkenes Wunderland entdeckt.
    Während sie all die Pracht in sich aufsog, erklang das leise Echo sich nähernder Schritte. Camilla erschrak nicht einmal mehr. Um zu fliehen, fehlte ihr die Kraft. Lediglich Enttäuschung breitete sich aus. Gerade hatte sie einen der wunderbarsten Orte entdeckt, den sie jemals gesehen hatte, konnte aber niemandem mehr davon erzählen.
    Müde sah sie in die Richtung, in der sie Grimm vermutete.
    In einiger Entfernung tanzte ein Licht. Etwas daran war seltsam. Camilla kniff die Augen zusammen. Es war keine Taschenlampe, sondern sah eher nach einer Laterne aus, die bei jedem Schritt flackerte.
    Langsam löste sie sich von ihrem Platz, wobei sie das Feuerzeug wieder zuschnappen ließ. Um sie wurde es dunkel.
    Ihr Herz schlug heftig, aber jetzt spürte sie mehr Neugier als Angst. Nach wenigen Schritten schälte sich eine gebeugte Gestalt aus der Dunkelheit, die sich schwer auf einen langen Stab stützte. Ob Mann oder Frau, ließ sich nicht sagen, aber dieser Mensch war alt. Eine Petroleumlampe pendelte bei jedem Schritt, ohne ihr einen Blick auf sein Gesicht zu gewähren.
    Unruhig zuckten die Schatten über die Hauswände, Spiegelbilder reflektierten auf schmutzigem Glas.
    In einigem Abstand blieb Camilla stehen. Sie wollte die Möglichkeit nutzen, erst zu beobachten, um notfalls doch noch weglaufen zu können. Falls sie nochmals die Kraft aufbrachte, ansonsten würde sie einfach niedersacken und stumm ihrem Tod ins Auge blicken.
    Nach endlosen Minuten erkannte sie, dass es ein Mann war. Abscheu und Ehrfurcht krochen unter ihre Haut und tief in ihr Herz. Er sah aus wie ein vertrockneter Leichnam, der sich nach hundert Jahren entschieden hatte, aus seinem Grab zu steigen. Die trockene Haut lag wie Pergament um seinen Schädel. Seine hohlen Wangen und die große, scharf gebogene Adlernase unterstrichen die Ähnlichkeit zu einem Toten. Einige wenige Haarbüschel wuchsen nah des Kragens aus seinem Hinterkopf. Blaue Adern lagen wie dicke Stränge an den Schläfen und auf seinen Handrücken. Sein Mund wirkte wie eine lippenlose Öffnung, hinter der Haifischzähne lauerten.
    So gebeugt, wie er ging, war er kleiner als Camilla. Der Anzug, oder

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