Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Titel: Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Meurer
Vom Netzwerk:
musste wohl die Arbeiten zwangseingestellt haben. Alles wirkte unfertig.
    Camilla umging das Loch und sah sich um, solang das Display noch Licht spendete. Säulen stützten die Betondecke und der Gang öffnete sich in eine Halle. Anhand der Gräben folgerte sie, dass das wohl irgendwann eine U-Bahn-Station werden sollte. Als sie näher an die Kante trat, sah sie allerdings keine Schienenstränge.
    Das Gefühl von Einsamkeit und Leere wuchs.
    Hier musste es doch einen Aufgang geben. Camilla drängte ihre Furcht zurück und ging langsam den Bahnsteig entlang. Sie spähte hinter alle Säulen und in jeden Alkoven.
    Oft musste sie das Handy zuklappen und neu öffnen. Der Akku leerte sich bedenklich. Sie wollte nicht daran denken, dass sie bald völlig blind weitergehen musste, wenn kein Wunder geschah.
    Plötzlich kroch ihr der Geruch nach Blut in die Nase. Ihr Atem stockte. Beinah glaubte sie, sich übergeben zu müssen. So schnell sie mit ihrem verletzten Fuß konnte, schritt sie aus, einem kühlen Luftzug entgegen. Vielleicht war sie gleich in Freiheit.
    In einiger Entfernung gewahrte sie einen Durchgang und einen Lichtschimmer. Sie hatte es geschafft! Sonnenschein malte bewegte Muster auf den Boden. Camilla rannte los. Ihr Fußgelenk schmerzte höllisch, aber sie ignorierte es.
    Als sie in den Schacht stolperte und nach oben sah, schlug Enttäuschung wie eine Woge über ihr zusammen. Die Sonne stand hoch am Himmel. Camilla hörte schwach Motorengeräusche. Ein paar Vögel kreisten über der Öffnung, aber all das schien mindestens fünfzig Meter entfernt und die nackten Wände konnte sie nicht erklimmen. Sie knirschte mit den Zähnen und sackte mit dem Rücken gegen die Schachtwand. In der gleichen Sekunde schreckte sie zusammen. Eine zusammengekauerte Person lag wenige Schritte entfernt auf dem Boden, eine nackte Frau. Einer ihrer schlanken Arme stach in seltsamem Winkel vom Körper ab, während der andere das Gesicht wie zum Schutz bedeckte.
    Camilla konnte sich dem unheimlichen Bild nicht entziehen. Etwas zwang sie, die Frau genauer zu untersuchen. Von oben heruntergefallen war sie sicher nicht.
    Sie zitterte, als sie sich vorsichtig näherte und in die Hocke ging. Ihr Fuß schmerzte unter der Belastung. Mit einer Hand stützte sie sich ab, während sie in der anderen ihr Handy umklammerte. Vielleicht konnte sie von hier die Polizei rufen. Der Akku gab Signale, dass er fast leer war. Sie klappte den Deckel auf. Na toll! Kein Empfang!
    Vorsichtig neigte sie sich zu der Toten. Die bleiche Haut der Frau war von Dreck, Schürfwunden und getrocknetem Blut verkrustet. Jemand hatte ihren Brustkorb aufgerissen. Käfer und Maden tummelten sich in dem toten Fleisch.
    Camilla würgte, ihr schwindelte. Für einen Moment setzte ihr Herz aus. Heftiger denn je kehrten die Angst und ihre Visionen zurück. Schreiend sprang sie auf. Beim Zurücktaumeln verfolgten die leeren Augenhöhlen sie und das zerschnittene Gesicht, in dem kurze, blonde Strähnen klebten.
     
    Camilla registrierte kaum, dass sich die Gänge und Höhlen immer wieder veränderten. Ihr Verstand sagte, dass sie nie wieder herausfinden würde, aber die fremde Stimme in ihrem Kopf sprach dagegen. Sie wollte nur zu gern glauben, dass sie sich in Sicherheit befand.
    Schon lange überragten Müdigkeit, Durst, Hunger und Verzweiflung ihre Angst. Sie lief, ohne eine Ahnung zu haben, wohin ihre Füße sie trugen. Sie merkte kaum, dass ihre Empfindungen immer mehr abstumpften und sich auf das Essenziellste reduzierten.
    Seit gestern Nacht hatte sie nicht mehr geschlafen und der Tee oder Kaffee, den Frau Wallraf mitgebracht hatte, tanzte die ganze Zeit wie eine Fata Morgana vor ihrem geistigen Auge. Sie meinte sogar manchmal, den Duft frischen Kaffees wahrzunehmen. Irgendwann während des Laufens würde sie ohne Zweifel einfach umfallen und einschlafen.
    Ihre Lichtquelle hatte schon vor einer ganzen Zeit den Geist aufgegeben. Nun behalf sie sich mit einem Feuerzeug, in dessen gelbem Flämmchen sie nahezu nichts sehen konnte. Was für ein Hohn, wenn sie hier unentdeckt unter Berlin starb. Wie vielen das schon vor ihr passiert war? Diverse Vermisstenfälle ließen sich sicher so erklären.
    Um sich abzulenken, las sie die Uhrzeit auf ihrer Armbanduhr ab. Vor vierundzwanzig Stunden hatte sie Frau Wallraf kennengelernt. Schade, dachte sie. Die Ärztin war ihr sympathisch gewesen. Sehen würden sie sich wohl nie wieder.
    Obwohl ihr eigener Fatalismus ihr nicht gefiel, war sie zu

Weitere Kostenlose Bücher