Glaub nicht es sei vorbei
der Nähe hörte er ein jämmerliches Weinen, einen Laut, der ihm bereits vertraut war. Seine Gedanken fühlten sich benebelt an. Sein Kopf tat weh. Ihm war heiß, aber er konnte nicht aufhören zu zittern. Und seit ein paar Stunden hatte er Bauchweh, rechts unten.
Es war nicht allzu, schlimm, aber ununterbrochen da, als würde es sagen: >Ich bin hier. Ich bin hier.< Er war viel zu müde, um seinen Körper in eine andere Lage zu bringen oder zu versuchen, die Fesseln abzustreifen. Er fühlte sich fast zu krank, um Angst zu haben. Fast.
Er war hungrig und hatte großen Durst. Der Dunkle Krieger war seit einer Ewigkeit nicht mehr gekommen. Hatte er ihn vergessen? Ließ er ihn qualvoll in der Dunkelheit sterben? Würde dann irgendwer sein Gerippe hier finden und sagen: »Jesusmaria, wer ist denn das gewesen? Na ja, nicht schade um die alten Knochen.« Und niemand würde wissen, dass die Knochen einmal Todd Jonathan Ryan gehört hatten, der ausgezeichnet schwimmen konnte, dem zwei Goldfische gehörten und den seine Mutter sehr lieb hatte.
Er fragte sich, ob Mami noch an ihn dachte. Er wusste ja nicht genau, wie lange er schon fort war. Manchmal kam es ihm wie ein paar Tage, manchmal wie eine Ewigkeit vor. Aber er war ziemlich sicher, dass Mami ihn nicht vergessen würde. Er wusste, dass sie ihn lieb hatte. Er hatte sie auch lieb, auch wenn seine Freunde das nicht wissen durften. Sonst glaubten sie, er sei noch ein Baby.
Eine Zeit lang hatte er gehofft, dass seine Cousine Rebekka ihn aufspüren würde. Mami hatte ihm erzählt, dass sie besondere Kräfte hätte. Einmal hatte er sie sogar in seinem Kopf gespürt. Das war ganz schön gruselig, aber für einen Jedi-Ritter war so was bestimmt ein Kinderspiel — in jemandes Gedanken eindringen, darin herumstöbern und Botschaften aussenden, zum Beispiel, dass man stark sein soll. Er fragte sich, ob Rebekka vielleicht ein Jedi war. Aber hätte sie ihn dann nicht längst gefunden? Oder hatte sie ihn auch aufgegeben?
Er fing an zu weinen. Er fühlte sich schlechter als schlecht. Er war einsam. Er spürte, dass er krank wurde. Und was heulte da bloß in die Nacht hinein? Es hörte sich an wie ein Baby, das umgebracht wurde, und es machte ihm Angst. Er hätte ihm so gern geholfen. Aber er konnte überhaupt nichts tun, weder für sich selbst noch für das jammernde Wesen da draußen.
Er weinte bitterlich, hielt sich die rechte Seite. Zum ersten Mal hatte er das sichere Gefühl, sterben zu müssen.
»Ich hab Bauchweh. Ich hab Bauchweh. Ich hab Bauchweh ...«
»Rebekka. Rebekka! Komm zurück. Du zitterst ja. Komm zurück. Komm zurück, jetzt gleich!«
Langsam kehrte Rebekka in ihre Umgebung zurück. Sie lag auf ihrem Bett, und Clay hatte seinen Arm um sie gelegt. »Ich weiß nicht ... wo ... «
»Du bist in deinem Zimmer. In Sicherheit.« Er zog sie an sich. »Beruhige dich, Rebekka. Konzentriere dich auf deinen Atem. Du bist am Hyperventilieren. Du bist auch völlig durchgeschwitzt.«
»Aber ich muss ihm helfen ...«
»Jetzt nicht. Sei einfach nur ruhig.« Er deckte sie zu. »Lass dich fallen, entspann dich und atme gut durch.«
Rebekka gehorchte, lehnte sich an ihn, genoss das Gefühl, seine starken Arme um sich zu wissen. Warum fühlte sie sich in seiner Nähe so geborgen? Nur weil sie panische Angst vor dem Alleinsein hatte? Oder strahlte Clay trotz seiner unbekümmerten Art ein Gefühl der Beständigkeit und Sicherheit aus? Er streichelte ihren rechten Arm, und sie dachte kurz, er hätte sie zart auf den Scheitel geküsst und ihr etwas zugemurmelt. Aus dem Radio tönte Musik. I Love You von Sarah McLachlan. Rebekka murmelte: »Mein Lieblingslied.« Sie ließ sich in die Musik und Clays Wärme fallen. Ein verführerisches Gefühl. Am liebsten hätte sie ihre Probleme mitsamt dem armen kleinen Todd vergessen ...
Jäh holte die Realität sie aber wieder ein.
»Ich bin in Ordnung«, sagte sie und fuhr so schnell in die Höhe, dass Clay sie erschrocken ansah. »Ich hatte wieder eine Vision, wie du dir denken kannst. Von Todd. Er lebt, aber es geht ihm gar nicht gut, Clay. Sein Kopf und sein Hals tun ihm weh. Ihm ist heiß und kalt zugleich. Und er hat Bauchweh. Hier.« Sie deutete auf die Stelle.
Clay runzelte die Stirn. »Hat Todd noch den Blinddarm?«
»Ich glaube schon. Sonst hätte Molly mir etwas davon gesagt.« Clays Miene verfinsterte sich. »0 Gott, du glaubst doch nicht etwa, dass er Blinddarmentzündung hat?«
»Nun ja, ich kann ihn zwar weder untersuchen
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