Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
als ich sie kennengelernt habe. Eine Ehe kam für uns nicht in Frage, ich habe nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet. Also habe ich ihr gesagt, ich hätte sie gern als Geliebte, ein diskretes Arrangement, von dem niemand erfahren würde, etwas, das ihre Karriere in keiner Weise behindern würde, denn ich wusste ja, wie viel Wert sie auf ihre berufliche Laufbahn legte. Sie besaß einen klugen Kopf und hatte eine großartige Zukunft vor sich. Und ich habe nicht erwartet, dass sie ihre Fähigkeiten ein Leben lang in Barrow-in-Furness vergeuden oder ihre ehrgeizigen Pläne aufgeben würde, nur weil ich mit ihr ins Bett gehen wollte.«
»Ich will das alles nicht hören«, sagte Manette unwirsch. Ihr Hals schmerzte so sehr, dass sie die Worte kaum herausbrachte.
»Du hast mich auf Vivienne angesprochen, und jetzt wirst du mir zuhören. Sie hat sich Bedenkzeit ausgebeten. Zwei Wochen lang hat sie über meinen Vorschlag nachgedacht. Dann ist sie zu mir gekommen und hat mir ihrerseits einen Vorschlag gemacht. Sie würde mich als Liebhaber ausprobieren, sagte sie. Sie meinte, sie hätte nie gedacht, dass sie einmal jemandes Geliebte sein würde, erst recht nicht die Geliebte eines Mannes, der älter war als ihr Vater. Das fand sie ziemlich geschmacklos, wie sie sich ausdrückte, denn sie gehörte nicht zu den Frauen, die Geld sexy finden. Sie fühlte sich von jungen Männern angezogen, Männern in ihrem Alter, und sie konnte sich nicht vorstellen, mit mir ins Bett zu gehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ich sie erregen könnte. Doch wenn ich sie als Liebhaber zufriedenstellte, womit sie, offen gesagt, nicht rechnete, dann würde sie sich auf das Arrangement einlassen. Wenn ich sie nicht zufriedenstellte, würde es – in ihren Worten – kein böses Blut zwischen uns geben.«
»Mein Gott. Sie hätte dich anzeigen können. Das hätte dich Hunderttausende von Pfund kosten können. Sexuelle Belästigung …«
»Das wusste ich. Aber das ist das, was ich meinte, als ich eben sagte, dass es einfach über einen kommt. Wer das nicht erlebt hat, kann das nicht verstehen. Man redet sich die Dinge schön, und plötzlich kommt einem alles vollkommen vernünftig vor, selbst einer Angestellten einen solchen Vorschlag zu machen und dann ihren Gegenvorschlag anzunehmen.« Vom See her war ein leichter Wind aufgekommen. Manette fröstelte. Ihr Vater legte ihr einen Arm um die Taille und sagte: »Es wird bald regnen.« Eine Weile gingen sie schweigend weiter, dann fuhr er fort: »Eine Zeitlang haben wir zwei verschiedene Rollen gespielt, Vivienne und ich. In der Firma waren wir Chef und Chefsekretärin, und es gab nicht das geringste Anzeichen dafür, dass sich irgendetwas zwischen uns abspielte. Und bei anderen Gelegenheiten waren wir ein Mann und seine Geliebte, wobei das korrekte Verhalten, das wir in der Firma an den Tag legten, den Reiz ausmachte für das, was nachts passierte. Irgendwann hatte sie dann genug davon. Sie konnte sich beruflich verbessern, und ich war nicht so dumm, sie aufzuhalten. Ich musste sie gehen lassen, und das habe ich getan, so wie ich es von Anfang an versprochen hatte, und ihr alles Gute gewünscht.«
»Wo ist sie jetzt?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie hat eine Stelle in London angenommen, aber das ist schon einige Zeit her. Wahrscheinlich hat sie danach noch weiter Karriere gemacht.«
»Und was ist mit Mum? Wie konntest du ihr das …«
»Deine Mutter hat nie davon erfahren, Manette.«
»Aber Mignon weiß Bescheid, stimmt’s?«
Fairclough schaute zum See hinunter. Ein paar Enten flogen in V-Formation über sie hinweg, kurvten über den See und kamen wieder zurück. Schließlich antwortete er: »Ja, sie weiß davon. Mir ist rätselhaft, wie sie es herausgefunden hat. Ich wundere mich sowieso, woher sie immer alles weiß.«
»Deswegen hat sie es geschafft …«
»Ja.«
»Und Ian? Wieso hat er Vivienne regelmäßig Geld überwiesen?«
Fairclough schüttelte den Kopf, dann schaute er seine Tochter an. »Gott ist mein Zeuge, Manette: Ich weiß es nicht. Wenn Ian Vivienne Geld überwiesen hat, dann kann ich mir nur vorstellen, dass er es getan hat, um mich vor irgendetwas zu schützen. Wahrscheinlich hat sie Kontakt zu ihm aufgenommen, ihm mit irgendetwas gedroht … Ich weiß es einfach nicht.«
»Vielleicht hat sie gedroht, es Mum zu erzählen. So wie Mignon. Das tut sie doch, oder? Sie droht dir, es Mum zu erzählen, wenn du ihr nicht gibst, was sie will. Was würde Mum denn tun, wenn
Weitere Kostenlose Bücher