Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
verstanden. Nick und Mignon …« Er machte eine vage Geste in Richtung des Turms. »… haben ihre Dämonen, aber ich dachte immer, du wärst anders. Ich habe mich gefreut, als ihr geheiratet habt, du und Freddie. Sie hat eine gute Wahl getroffen, dachte ich. Dass deine Ehe kaputtgeht, dass ihr euch trennt, das war … Du hast sehr wenige Fehler gemacht in deinem Leben, Manette, aber Freddie gehen zu lassen war einer davon.«
»So was kommt vor«, antwortete sie knapp.
»Wenn wir es zulassen«, entgegnete ihr Vater.
Das war wirklich die Höhe, dachte Manette. »So wie du Vivienne Tully zugelassen hast?«, fragte sie.
Bernard wich ihrem Blick nicht aus. Manette wusste, was sich in seinem Innern abspielte. Er ging blitzschnell alle Möglichkeiten durch, die seine Tochter auf diese Frage gebracht haben könnten. Und er fragte sich, wie viel genau Manette wusste.
»Vivienne Tully ist Vergangenheit«, sagte er schließlich. »Sie ist schon lange fort.«
Er warf seine Angel sehr vorsichtig aus. Aber in diesem trüben Gewässer konnte sie ebenso gut fischen. »Die Vergangenheit ist nie so weit weg, wie wir es gerne hätten. Irgendwie holt sie uns immer wieder ein. So wie Vivienne zu dir zurückgekommen ist.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Ich meine, dass Ian ihr seit Jahren Geld überwiesen hat. Und zwar monatlich. Doch das wirst du ja wissen.«
Er runzelte die Stirn. »Nein, davon weiß ich nichts.«
Manette versuchte, in ihn hineinzusehen. Auf seinem Gesicht schimmerte ein feiner Schweißfilm, und sie hätte sich gewünscht, dass das etwas über ihn verriet und über das, was er möglicherweise getan hatte. Sie sagte: »Ich glaube dir nicht. Zwischen dir und Vivienne Tully ist immer irgendwas gewesen.«
»Vivienne gehörte zu etwas in meiner Vergangenheit, das ich zugelassen habe.«
»Was soll das denn heißen?«
»Dass es einen Moment gegeben hat, in dem ich menschlich versagt habe.«
»Verstehe«, sagte Manette.
»Nicht alles«, entgegnete ihr Vater. »Ich habe Vivienne begehrt, und sie hat meine Gefühle erwidert. Aber keiner von uns beiden hatte je die Absicht …«
»Ach, das behaupten doch alle.« Manette wunderte sich über ihre eigene Verbitterung. Schließlich hatte ihr Vater nur zugegeben, was sie schon seit Jahren vermutete: dass er eine Affäre mit einer jungen Frau gehabt hatte. Was ging das sie an, seine Tochter? Es bedeutete nichts und war zugleich immens wichtig, und das Schlimme war, dass Manette nicht begriff, warum.
»Es war keine Absicht «, sagte Fairclough. »Man gerät in so etwas hinein. Irgendwie hat man das dumme Gefühl, dass das Leben einem mehr bieten müsste, und wenn man diesen Gedanken erst einmal zulässt, dann …«
»Du und Vivienne Tully. Ich will dich nicht verletzen, aber ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie hätte mit dir schlafen wollen.«
»Das hat sie nicht.«
»Sie hat nicht mit dir geschlafen? Also wirklich!«
»Nein, das meine ich nicht.« Fairclough schaute zum Haus hinüber, dann wandte er sich ab. Am See entlang verlief ein Weg, der zum Wald hinaufführte. »Komm, wir machen einen Spaziergang«, sagte er. »Ich werde versuchen, es dir zu erklären.«
»Ich will keine Erklärung.«
»Nein. Aber du bist bedrückt. Und das hat teilweise mit mir zu tun. Komm mit, Manette.« Er nahm ihren Arm, und sie spürte den Druck seiner Finger durch ihren Wollpullover. Am liebsten hätte sie sich losgerissen und wäre gegangen und hätte sich endgültig von ihm verabschiedet. Sie hatte keine Lust, jetzt mit dem Mistkerl spazieren zu gehen und sich seine Lügenmärchen über Vivienne Tully anzuhören.
Er sagte: »Kinder wollen nichts über die Sexualität ihrer Eltern wissen. Das ist ganz normal.«
»Wenn es mit Mum zu tun hat …«
»Gott, nein. Deine Mutter hat nie … Egal. Es hat mit mir zu tun. Ich habe Vivienne begehrt wegen ihrer Jugend, ihrer Unverbrauchtheit.«
»Ich will das nicht …«
»Du hast das Thema aufgebracht, meine Liebe. Jetzt musst du dir auch anhören, was ich dazu zu sagen habe. Ich habe Vivienne nie verführt. Hattest du das angenommen?« Er schaute sie an, doch Manette hielt den Blick auf den mit Kies bedeckten Pfad geheftet, folgte seinen Windungen vom See zum Wald hinauf. »Ich bin kein primitiver Schürzenjäger, Manette«, sagte Fairclough. »Ich habe sie angesprochen. Damals arbeitete sie seit ungefähr zwei Monaten für mich. Ich war ganz offen zu ihr, genauso offen, wie ich deiner Mutter gegenüber war,
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