Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
Schwester habe?«
Barbara hatte große Mühe, sich ihre Entgeisterung nicht anmerken zu lassen. »Du hast einen Bruder und eine Schwester? Wirklich?«
»Ja!«, rief Hadiyyah. »Dad war nämlich schon mal verheiratet, weißt du, und das wollte er mir nicht erzählen, weil er findet, dass ich für so was noch zu jung bin. Aber Mummy hat’s mir erzählt, und sie hat mir erklärt, dass das gar nichts Schlimmes ist, wenn man schon mal verheiratet war, und ich hab gesagt, ich finde das auch gar nicht schlimm, weil, in meiner Schule sind ’ne Menge Kinder, deren Eltern nicht mehr verheiratet sind. Da hat Mummy mir erzählt, dass dasselbe mit Dad passiert ist, nur dass seine Familie so sauer auf ihn war, dass seine Kinder ihn nicht mehr besuchen durften, und das ist doch nicht in Ordnung, oder?«
»Hm, da hast du recht«, sagte Barbara. Allerdings hatte sie ein ganz ungutes Gefühl, wohin diese Sache führen konnte. Wie zum Teufel hatte Angelina Azhars Kinder überhaupt gefunden?, fragte sie sich.
»Und heute …« Hadiyyah machte eine theatralische Pause.
»Ja?«
»Heute holen Mummy und ich die beiden ab!«, rief Hadiyyah. »Das wird eine Überraschung, stell dir das mal vor! Du glaubst gar nicht, wie aufregend das alles ist! Und Dad wird seine Kinder endlich wiedersehen. Mummy weiß nicht mal, wie alt die Kinder sind. Aber sie glaubt, dass sie zwölf und vierzehn sind. Stell dir das bloß mal vor, Barbara: Ich hab einen großen Bruder und eine große Schwester! Glaubst du, die werden mich mögen? Ich hoffe es, denn ich weiß jetzt schon, dass ich sie mag!«
Barbara fehlten die Worte. »Tja, also …«, brachte sie mühsam heraus, während sie krampfhaft überlegte, was zum Teufel sie tun sollte. Ihre Freundschaft mit Azhar verlangte, dass sie ihn vor dem Desaster warnte, das ihm bevorstand: dass Angelina Upman vorhatte, ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen, und ihm weder Zeit noch Gelegenheit bleiben würde, das zu verhindern. Aber reichte ihre Freundschaft tatsächlich so weit?, fragte sie sich. Und wenn sie es ihm steckte, was würde er dann tun, und welche Auswirkungen würde das auf Hadiyyah haben, um die es hier in erster Linie ging?
Schlussendlich hatte Barbara nichts unternommen, weil ihr einfach nichts eingefallen war, was sie hätte tun können, ohne das Leben der Beteiligten auf den Kopf zu stellen. Mit Angelina zu reden bedeutete, Azhar zu verraten. Mit Azhar zu reden bedeutete, Angelina zu verraten. Und so hatte sie es vorgezogen, sich aus der Sache ganz herauszuhalten und der Natur – oder was auch immer es sein mochte – ihren Lauf zu lassen. Sie würde zur Stelle sein, um die Scherben aufzulesen, aber vielleicht gab es ja auch gar keine Scherben. Schließlich hatte Hadiyyah ein Recht darauf, ihre Geschwister kennenzulernen. Vielleicht endete das Ganze in Friede, Freude, Eierkuchen. Vielleicht.
Und so war Barbara wie gewohnt zur Arbeit gefahren. Sie hatte dafür gesorgt, dass Superintendent Ardery ihre Aufmachung zu Gesicht bekam, allerdings erst, nachdem sie sich der Anerkennung von Dorothea Harriman vergewissert hatte. Harriman war völlig aus dem Häuschen geraten – »Detective Sergeant Havers … Ihre Frisur! … Ihr Make-up! … Einfach umwerfend!« –, aber als sie angefangen hatte, von ihrem neuen Mineralpuder zu schwärmen, hatte Barbara sich schnell wieder verzogen. Sie war bei Superintendent Ardery vorstellig geworden, die ihr die Unterlagen für die Staatsanwaltschaft in die Hand gedrückt hatte, während sie jemanden am Telefon anfuhr: »Was ist das überhaupt für ein Schlamassel? Kriegen Sie da drüben eigentlich jemals was geregelt?«, woraus Barbara schloss, dass sie jemanden vom SO7 an der Strippe hatte und dass es irgendein Problem mit der Kriminaltechnik gab. Sie selbst machte sich an die Arbeit mit dem CPS -Mitarbeiter, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder um die Recherchen für Lynley kümmern konnte.
Das ging leichter als bisher, da Ardery sich offenbar um den »Schlamassel« kümmern musste, und falls es sich tatsächlich um ein Problem bei der Kriminaltechnik handelte, würde die Chefin den Rest des Tages auf der anderen Seite der Themse verbringen. Kaum hatte Barbara erfahren, dass die Ardery das Gebäude verlassen hatte, entschuldigte sie sich bei dem CPS -Mitarbeiter, der nichts dagegen hatte, eine ausgedehnte Mittagspause einzulegen, schnappte sich ihr Spanisch-Wörterbuch und flitzte nach oben in die Bibliothek.
Nachdem sie bereits genug
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