Glauben Sie noch an die Liebe
der Mann dasselbe über sie. Die hatten es begriffen. Die können das.
Und Sie?
Ich kann das nicht.
CLAUDIA ROTH
»Ich habe das ganze Bett nass geweint«
Jeder Politiker hat eine Pose, die ihn unter anderen Vertretern seiner Gattung einzigartig macht. Im Fall von Claudia Roth ist das die innige Umarmung. Es gibt viele Fotografien, auf denen die Grünen-Chefin einen Menschen an sich drückt: Jürgen Trittin auf einem Sonderparteitag in Berlin. Den Angehörigen eines der Opfer des Amoklaufs auf der Trauerfeier in Winnenden. Einen bayerischen CSU-Bürgermeister bei einem Wahlkampfauftritt in Schwabach. Es ist diese Art von Gefühligkeit, derentwegen Claudia Roth oft unterstellt wird, dass sie, gelinde gesagt, ihre Tage damit verbringe, in den Menschenmengen ihrer politischen Anhänger zu baden.
Unsere Ankündigung, mit Claudia Roth ein Gespräch über Einsamkeit führen zu wollen, muss deshalb wie ein Paradoxon klingen. Paradox wie die steile These, dass ausgerechnet jemand, der in der Öffentlichkeit für seine Menschenliebe bekannt sein will, in ihrem Privatleben das genaue Gegenteil erlebt.
Als Claudia Roth den Konferenzsaal der Zentrale des Deutschen Fußball-Bunds betritt, in den sie uns am Rande eines politischen Termins zum Gespräch eingeladen hat, begrüßt sie uns statt mit einer Umarmung nur mit einem schlichten Handschlag. Sonst aber wirkt sie, wie man sie aus dem Fernsehen zu kennen glaubt: Sie trägt wallende Gewänder, die bei jeder Bewegung im Raum einen spürbaren Lufthauch erzeugen. An ihren Handgelenken und Ohren jede Menge Klimbim – Ringe, Kettchen, Anhänger. Und natürlich, weiter oben, sehen wir die bunten Strähnen im Haar, das ihr ins runde, lächelnde Gesicht fällt.
Frau Roth, wie lange sind Sie jetzt schon Single?
Ach, seit ein paar Jahren.
Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Liebe?
Das war Winnetou.
War es etwas Ernstes?
Sie werden lachen, ja! Es war Sommer, ich war in der fünften Klasse des Gymnasiums und las Winnetou. Er war so galant, er war schön, er hatte ein Pferd. Mein erstes Zimmer war voller Pferdebildchen. Ich wusste ja, dass Nscho-Tschi im ersten Band stirbt. Aber als Winnetou im dritten Band starb, war das richtig schlimm. Ich bin regelrecht krank geworden.
Krank vor Liebeskummer um eine Romanfigur?
Ich bin fast zusammengebrochen. Ich habe getrauert, und meine Mama erlaubte mir sogar, einen Tag von der Schule zu Hause zu bleiben. Ich habe das ganze Bett nass geweint. Ich konnte es nicht aushalten, dass Winnetou tot war.
Das klingt jetzt überraschend dramatisch.
Es war sehr dramatisch, ja. Später kamen dann Schwärmereien. Irgendwann habe ich mir eingebildet, ich sei in einen Fußballer verknallt.
Jemand aus dem Fernsehen?
Nein, jemand aus Babenhausen, wo wir wohnten. Er war sehr schön, mit blonden, langen Haaren. Das war eine Art politisches Aufbegehren. Ich kam ja aus einem bürgerlichen Haushalt, der Vater Zahnarzt, die Mutter Lehrerin, und dann sagte die Tochter eines Tages: »Ich bin jetzt in einen Fußballer verknallt.«
Sie waren also mit einem Fußballer zusammen?
Nein, nein. Er hat überhaupt nie ein Auge auf mich geworfen. Trotzdem sagte meine Mutter: »Das geht nicht.« Und ich entgegnete: »Natürlich geht das.«
Es war also eher ein Streit um Prinzipien?
Es ging nur ums Prinzip. Ich hatte ja nichts mit diesem Fußballer. Aber ich hatte mir in den Kopf gesetzt, dass sie es mir bloß deshalb verbieten wollten, weil ich die Zahnarzttochter war und der Fußballer eben ein Fußballer. Da war ich super enttäuscht.
In der Öffentlichkeit kennt man Sie als Politikerin, die auf Prinzipien beharrt. Aber sind Sie auch im Privaten so streng mit anderen?
Ja, ich bin ziemlich anspruchsvoll. Ich kann schlecht loslassen und will immer weiter. Deswegen kann ich mir auch nicht vorstellen, wie der Job, den ich gerade mache, mit einer Beziehung funktionieren soll.
Vielleicht muss man Claudia Roths Geschichten kennen, um von ihr etwas über die dunkle Seite der Liebe zu erfahren, die Einsamkeit einer siebenundfünfzig Jahre alten Spitzenpolitikerin, deren Beziehungen nicht selten an ihrem Beruf zerbrochen sind, wie sie uns gleich erzählen wird. Roth hat sich warm geredet in diesem Konferenzraum, der wahrscheinlich wie alle Säle aussieht, in denen sie ihre Tage verbringt. Auf dem Tisch steht das weiße Geschirr des Deutschen Fußball-Bunds neben Aluminiumkannen mit Tee und Kaffee. Claudia Roth bietet uns etwas zu trinken an, als wäre sie hier zu Hause,
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