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Glauben Sie noch an die Liebe

Glauben Sie noch an die Liebe

Titel: Glauben Sie noch an die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Philipp Burgard , Justus Bender
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Grundstoff, aus dem Liebe ist?
    Das Begehren ist ein ebenso leiblicher wie seelischer Grundstoff, und meist übersetzt er sich in etwas Stoffliches. Die Liebe in ihrer Grenzenlosigkeit gemeindet sich deshalb unter Umständen sogar das Vulgäre, das Ordinäre ein.
    Zum Beispiel?
    Man gibt sich Tiernamen, spielt mit Befehl und Gehorsam, Dominanz und Unterwerfung. Bei de Sade streut jemand Oblaten auf den nackten Körper einer Frau, lässt Ratten in sie hineinlaufen. Dieser Fantast war der Meinung, man steigere die Lust, indem man die mit ihr verbundene Idee des Bösen steigere.
    Das klingt zumindest ungewöhnlich.
    Wohlgemerkt geht es nicht um das Praktizieren, es geht um den fantastischen Raum der Liebe, um Vorstellungen, in denen ein Mensch – Mann oder Frau, bei de Sade gibt es beides – souverän werden kann. Es geht um das Bild, das auf andere Weise die Lust stimuliert, als der Körper es tun kann. Das ist die Stufenleiter der Erotik, von der Platon spricht. Die Liebe emanzipiert sich vom Körperlichen allmählich zur Idee.
    Bis der Sex nur noch im Kopf stattfindet?
    Der Chinese kennt die Distanzorgie. Dabei gucken sich die Teilnehmer nur an und entblößen sich durch Zeichen und Bewegungen. An sich ist das eine sehr platonische Idee. Selbst in der buddhistischen Kultur heißt es, das größte Geschlechtsteil sei der Kopf.
    Dann wundert es nicht, Roger Willemsen, den Kopfmenschen, manchmal in der »Ritze« auf der Reeperbahn zu treffen.
    Ich habe hier schon viele schöne Abende verbracht. Der Dichter Wolf Wondratschek war der Liebhaber von Domenica, der berühmten Kiezhure. Er war deshalb öfters hier.
    Haben Sie auch Kontakte ins Milieu?
    Nein. Aber ein Bekannter führte mich mal in den Keller eines Hauses hier gegenüber, in dem die Halbwelt zusammensaß. Es war eine Katakombe mit niedrigen Decken, in der es eine Sauna gab und ein Becken mit wenig Wasser. Da saßen die Jungs mit den Prostituierten und amüsierten sich. Ein skurriles Milieu.
    Wenn Sie davon erzählen, wirkt die »Ritze« wie ein Intellektuellentreff.
    Das ist vielleicht zu viel gesagt. Aber es gab hier lange diese Heiner-Lauterbach-Welt, wie ich sie nennen möchte, die mit einer gewissen Romantisierung der Halbwelt einhergeht.
    Roger Willemsen schaut sich im Lokal um, aber er entdeckt keine bekannten Gesichter. Kein Wunder, es ist helllichter Tag, ein Mittwochnachmittag, siebzehn Uhr. Das Milieu schläft noch, und die Vertreter der »Heiner-Lauterbach-Welt« entdecken offenbar erst nach Sonnenuntergang ihre Liebe zum Stofflichen. Zu dieser Tageszeit vermuten wir sie in den literarischen Salons, bei Lesungen in Buchhandlungen, bei Interviews mit Feuilletonjournalisten und in den Denkstuben ihrer Universitäten. Tagsüber hängen sie in der »Ritze« nur an den Wänden, als Fotos mit Autogramm, die Schauspieler, Schriftsteller, Journalisten und Dichter, die hier verkehren. In den nächsten Minuten wollen wir von Roger Willemsen wissen, was einen Bildungsbürger in diese Welt treibt.
    Sokrates hat einmal gesagt: »Begehren kann man nur das, woran es einem selbst mangelt.« Zieht es Kopfmenschen deshalb in die Niederungen des Rotlichtmilieus?
    Sagen wir es mal so: Der Kopfmensch kennt die Bühnenbilder der Liebe und der Triebabfuhr sehr gut. Aber eben nur als dekadente Fantasie. Ein Raum wie dieser ist dann der Ernstfall.
    Also ein Ort, an dem der Bildungsbürger sich seine platonische Stofflichkeit holt?
    Ja, dieses Milieu konterkariert seine Welt, alles hier. Die Schlägerei, die Begegnung mit dem Milieu, eine Vaginalakrobatin, die sich auf der Theke räkelt.
    Kann die Realität halten, was der Traum verspricht?
    Selten. Einmal fuhr ich mit einem Glücksspieler aus Las Vegas durch die Wüste von Nevada. Das war für einen ARTE -Themenabend über Bordelle der Welt. Und in der Limousine erzählt mir dieser Mann, dass er gleich eine Prostituierte durchnehmen will. Aussehen soll sie wie Cher. Und solche Brüste haben. Wir kommen im Bordell an, es ist kaum größer als vier Wohnwagen. Eine kleine Prostituierte mit Überbiss, Cellulite und einem missmutigen Blick sagt: »Gib mir das Geld und setz dich. Ich schau dich gleich an. Wenn ich irgendwas an dir entdecke, kannst du gleich wieder gehen.« Er sitzt auf der Bettkante und merkt: Er bekommt nichts von dem, was er sich gewünscht hat.
    Nach diesem Gespräch mit Ihnen muss man eigentlich annehmen: Liebe ist erst mal und vor allem eines – Sex.
    O nein, es gibt sogar eine Liebe in der Überwindung des

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