Glauben Sie noch an die Liebe
und vielleicht ist sie das in gewissem Sinne auch. Ein Partner, der mit ihr leben will, müsste diese Welt der Sitzungen und Teekannen mit ihr teilen, die späten Abende mit langen Fraktionssitzungen, mit Weinfesten im Wahlkreis oder Besuchergruppen im Bundestag.
Frau Roth, ist es auch ein Stück weit dieser Beruf, der jeden Politiker einsam macht?
Einsamkeit ist in dem Job schon Thema. Man ist eine vollkommen öffentliche Person, geht abends ins Hotelzimmer, und dann wird es plötzlich leer. Ich kenne wenige Frauen, die in einer Spitzenposition sind und einen Mann haben, der zu Hause auf sie wartet. Der Preis, den Frauen zahlen, wenn sie Karriere machen, ist immer noch höher als der Preis, den Männer dafür zahlen.
Manche Männer wären nicht einsam im Hotelzimmer, sondern würden vielleicht eine Kollegin aus dem Ministerium anbaggern. Das ist aber vermutlich nichts, was eine Frau glücklich machen würde.
Das stimmt.
Es heißt immer, man müsse sich rar machen als Frau, auch einmal nicht ans Telefon gehen, wenn »er« anruft.
So ein Quatsch! Das hat mir meine Mutter auch immer erzählt. »Kind, sei doch mal diplomatisch. Halte dich mehr zurück.« Aber ich finde, man sollte vor allem man selbst sein.
Sie sagen selbst, Sie seien »vermeintlich stark«. Kippt das, was viele bei Ihnen als Stärke empfinden, im Privaten auch manchmal ins Gegenteil um?
Privat bin ich furchtbar verletzlich, ich habe oftmals wenig Distanz. Zu Stärke oder Mut gehört auch die Angst.
Hört man Claudia Roth über ihr Liebesleben sprechen, könnte man meinen, sie entstamme dem alternativen Milieu der Berliner Stadtteile Friedrichshain und Prenzlauer Berg, in denen Patchworkfamilien in Wohngemeinschaften leben und homosexuelle Paare Kinder aus Südostasien adoptieren. Aber weit gefehlt: Claudia Roth kommt aus Babenhausen in Bayern, einem konservativen Ort, in dem ihre Familie als linksliberal galt, weil der Postbote jeden Montag den Spiegel in den Briefkasten steckte. Ihr eigener Lebensentwurf, das Fehlen einer Familie, muss für die Bayerin weniger leicht zu verkraften sein, als man bei einer Vertreterin der Grünen Partei vermuten würde.
Frau Roth, lassen Sie uns über Babenhausen sprechen.
Nein, über Ulm müssen wir reden!
Was war denn in Ulm?
Alles, was ich über die Liebe weiß, beginnt in Ulm. Dort lebten meine Großeltern, die ich immer besucht habe. Sie führten eine wunderbare Ehe. Der Opa war Protestant, die Oma katholisch. Für uns war das ganz normal. Erst später bekam ich mit, dass das nicht selbstverständlich war. Mein Opa musste die Oma sozusagen entführen, um sie heiraten zu können.
Erzählen Sie von Ihren Großeltern!
Als Kind durfte ich immer im Gräbele schlafen, das ist die Bettritze. Es war ein riesengroßes Ehebett, darüber hing ein altmodisches Madonnenbild. Rechts lag der Opa, links die Oma, in der Mitte schlief ich, und über mich hinweg haben sich meine Großeltern im Schlaf bei den Händen gehalten. Das war für mich tief bewegend und berührend. Es gab mir ein Gefühl von totaler Geborgenheit und Innigkeit.
Wie lange waren Ihre Großeltern verheiratet?
Sie haben 1919 geheiratet, der Opa starb 1965. Also sechsundvierzig Jahre lang. Die Großmutter hat ihn um viele Jahre überlebt. Morgens ist Opa immer aufgestanden und hat Feuer gemacht, da war es ganz warm im Haus. Und mit Oma bin ich am Sonntag immer in die Kirche zum heiligen Franziskus. Da stand eine Gipsfigur von diesem Bettelmönch, der nicht einmal Socken anhatte, unglaublich kitschig, aber wunderschön.
Was würde die Großmutter, wenn sie noch am Leben wäre, dazu sagen, dass Sie alleinstehend sind und keine Kinder haben?
Das war eher ein Thema, zu dem meine Mutter etwas sagte. Sie mahnte mich immer: »Kind, binde dich nicht zu früh!« Sie selbst hat auch relativ lange mit dem Heiraten gewartet. Später meinte sie dann manchmal: »Na ja, vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen.«
Wie müsste er denn sein, Ihr Traumpartner?
Ich glaube, ich war immer auf der Suche nach einem Übervater. Mein Vater war brillant, sehr intelligent. Es war sehr schwer für meine Partner, dass ich sie unweigerlich mit ihm verglichen habe.
Und worauf achten Sie noch?
Es müsste eine Person sein, die sich auf mein Leben einstellt. Und bei der Art, wie ich in der Öffentlichkeit stehe, entsteht leicht das Bild vom »Mann an ihrer Seite«, was auch nicht leicht zu ertragen ist.
Aber Sie bewegen sich doch nicht in Macho-Milieus?
Trotzdem. Wenn
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