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Glauben Sie noch an die Liebe

Glauben Sie noch an die Liebe

Titel: Glauben Sie noch an die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Philipp Burgard , Justus Bender
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also nie Sex mit einer Prostituierten?
    Doch. Das ist eine ganz unheimliche Geschichte. Ich war immer noch siebzehn, kurz vor dem Abitur, und saß in Bonn in einem Café. Am Tisch gegenüber saßen zwei Frauen, eine davon war Statistin am Zimmertheater, wo auch ich arbeitete, also redete ich ein bisschen mit ihr. Die Frau neben ihr hatte wasserstoffblonde Haare, dicke Arme und einen Kopf wie ein Kalb. Ihre Frisur dünstete Haarspray aus. Ich fand sie hinreißend. Sie hatte so etwas Voluminöses.
    Das meinen Sie jetzt nicht ernst!
    Doch, ich meine das ernst! Es ging ja nicht um das Subtile, sondern um das Plakative an ihr. Ich verstand mich gut mit ihr und sagte, dass ich sie gerne wiedersehen würde.
    Und sie?
    Gab mir ihre Telefonnummer.
    Wussten Sie da schon, dass sie eine Prostituierte war?
    Natürlich nicht! Ich dachte, sie sei Schauspielerin.
    Wo fand das Treffen statt?
    Auf dem Grundstück meiner Eltern hatte ich ein eigenes kleines Häuschen. Ich vereinbarte mit ihr, dass ich sie an einem bestimmten Ort mit meinem Motorroller abholen würde. Mein Plan war, sie zu mir zu fahren. Zweimal hat sie mich versetzt.
    Und beim dritten Mal?
    Kam sie und hatte einen Weihnachtsbaum bei sich. So einen Tischbaum mit Lametta, in Zellophanfolie eingehüllt. Sie sagte, den habe ihr ein Bodybuilder mitgebracht, dem sie am Nachmittag einen runtergeholt hatte.
    Da wussten Sie dann …
    … ja. Ich wusste dann, dass sie anders war.
    Und Sie sind mit Ihrem Motorroller weggefahren?
    Nein, ich bin mit ihr im Bett gelandet. Und das Erstaunlichste war, dass sie eine Art Gummislip trug, den man im Schritt mit einem Druckknopf lösen konnte. Und dann hat sie im Bett alles kommentiert. Wie Waldemar Hartmann bei einem Fußballspiel. Es war grässlich.
    Wie viel haben Sie bezahlt?
    Nichts. Ich glaube, sie hat das aus Mitleid getan. Nach dem Motto: Jetzt habe ich ihn zweimal versetzt, jetzt hat er es sich verdient.
    Haben Sie diese Frau geliebt?
    Sie hatte speckige Handgelenke, und ihr Körperpuder hatte etwas Aphrodisierendes. Ich habe etwas in ihr gesehen. Ich habe sie begehrt. Aber nicht geliebt. Ich wusste danach, was platonische Liebe ist.
    Platon also. Keinen Kronzeugen würden wir weniger an diesem Ort erwarten. Für einen Moment müssen wir innehalten und erklären, was der Großphilosoph des Abendlands, Platon, mit einer Schmuddelkneipe in Hamburgs berühmtem Puffviertel zu tun haben könnte.
    Platon hat in der Antike keine Essays geschrieben, sondern lebendige Dialoge zwischen Menschen, in denen die Figur des Sokrates eine wichtige Rolle spielt. Es ist historisch belegt, dass dieser Sokrates existierte, jedoch nicht, ob er jene geistigen Abenteuer, die Platon ihm in seinen Texten unterstellt, tatsächlich durchlebte. In einem dieser Dialoge jedenfalls, er heißt »Symposion« und ist einigermaßen berühmt, spricht der bärtige, barfüßige Weise vor seinen Freunden über den Eros, die begehrliche Liebe. Sokrates sagt sinngemäß: »Der rechte Weg der Liebe ist jener, auf dem man dem Schönen folgt. Zuerst, indem man einen bestimmten schönen Körper liebt und begehrt. Dann, indem man über diesen Einzelkörper hinaus das Schöne in allen Körpern sieht. Zuletzt, indem man das Schöne in den Handlungen sieht, die diese Körper vollbringen und das Schöne in der Erkenntnis sieht, die einem diese Stufenleiter der Liebe ermöglicht.«
    Auf ebenjene Szene aus Platons »Symposion« bezieht sich der Begriff der »platonischen Liebe«, von der gemeinhin angenommen wird, sie komme ohne das Körperliche, ohne Brüste und Scham, ohne Rundungen und Anzüglichkeit aus. Das ist, allen Philosophiegelehrten zufolge, falsch. Nie hat Platon gemeint, die Liebe komme ohne die Berührung der Körper aus, im Gegenteil.
    Bei Platon beginnt die Liebe immer im Körperlichen.
    Richtig. Anders als das, was viele Menschen im Umgangssprachlichen unter »platonischer Liebe« verstehen.
    Würden Sie sich Platon anschließen?
    Nicht mehr. Ich kenne eine Liebe, die erst fühlt und anschließend jeden Körper als Trägermedium für diese Liebe akzeptiert. Der Dichter Lenau ist im 19. Jahrhundert einmal an einer Büste von Platon vorbeigegangen und sagte: »Das ist der Mann, der die dumme Liebe erfunden hat.« Er meinte damit die rein geistige Liebe, die fand er dumm. Bei Platon beginnt aber alles auf der Ebene des Stofflichen und wird dann allmählich zur geistigen Idee. Das ist wie der Lehmklumpen als Grundlage für die Skulptur.
    Das Körperliche ist also der

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