Glauben Sie noch an die Liebe
Sex. Jetzt muss ich zur großen Ehrenrettung der Liebe ausholen. Es gibt eine Liebe in meinem Leben, die körperlos bleibt. Die aus symbolischen Akten besteht, aus Fürsorge, aus der Frage: Wie geht es dir? Aus der karitativen Handlung.
Wen lieben Sie so?
Das sage ich nicht.
Und welche Form der Liebe steht für Sie höher, der körperliche oder der symbolische Akt?
Ich lebe mit Letzterem dauerhafter. Meine Liebesgeschichten anderer Art sind befristet. Meist bin ich ebenso froh, in sie hineinzukommen, wie wieder aus ihnen hinaus. Häufig überwiegt Letzteres.
Während Roger Willemsen spricht, werden wir nachdenklich. Ist er, der bekennende Bordellgaffer, der »Ritzen«-Gast, am Ende doch ein Romantiker? Ein rein geistig Liebender? Sind die Anekdoten von Puffbesuchen in Nevada, seine Fernsehreportage über Bordelle und seine Gummislip-Geschichten von Bonner Prostituierten am Ende nur eine chinesische Distanzorgie, der Flirt eines Bildungsbürgers mit dem Extremen, eine rebellische Pose gegen das Spießbürgertum? Willemsen ist im Redefluss, er öffnet sich für die Fragen nach seinem Privatleben. Um ihn herum füllt sich langsam das Lokal. Männer kommen herein und bestellen Bier. Aus dem Boxkeller ist ein verhaltenes Klopfen zu hören: die von Sandsäcken verschluckten Schläge der Boxer.
Wann beenden Sie eine Liebschaft?
Wenn sich Langeweile einstellt, weniger Appetit aufeinander oder kaum Wiedersehensfreude da ist. Manchmal ist es grausam, die Ausbreitung der Lieblosigkeit zu verfolgen. In ihr möchte man nicht leben, auch nicht in der eigenen.
Grausam für die Person, der Sie Lieblosigkeit unterstellen?
Vielleicht. Neulich ist eine Geschichte mit einer Frau mitten in der Straßenbahn zu Ende gegangen. Eigentlich hatten wir einen schönen Abend, wir waren auf dem Heimweg. Aber ich spürte, dass sich etwas geändert hatte. »Du fragst nicht mehr, wie es mir geht oder was ich tue«, sagte ich zu ihr. Sie stimmte mir zu. Wenn es dauerhaft passiert, dass jemand nicht mehr fragt, ist das schon ein Indiz dafür, dass er das große Allgemeine, die Liebe, gekündigt hat. Die Frau stieg an der nächsten Haltestelle aus.
Sie hätten ihr doch eine Chance geben können, mehr zu fragen.
An dieses »An der Beziehung arbeiten« glaube ich nicht. Eine Beziehung muss sich von selbst verändern und erneuern. Diese Veränderung muss ursprünglich sein und darf nicht auf einen Befehl antworten.
Andererseits dauern Beziehungen wahrscheinlich nie lange, wenn man so perfektionistisch ist wie Sie.
Vielleicht habe ich nur ein hohes Ideal von einer Liebe, die sich dauernd aus sich selbst heraus erneuert, nicht ermüdet, nicht routiniert wird. Unreif? Bestimmt. Ich liebe Schöpfungsvorgänge. Die Liebe ist grandios, wenn zwei Menschen sie entdecken. Der erste Kuss. Das erste Mal nackt. In dem Moment, in dem dieser Prozess zu Ende ist, nach zwei Jahren oder drei Monaten, kommt man in eine Zone, die unproduktiv ist. Da wird es gefährlich.
Dann halten Sie die Ehe für ein sinnloses Konstrukt?
Sie soll schon mal funktioniert haben. Aber dem Sozialismus hat man definitiv weniger Chancen gegeben als derEhe.Von den glücklichsten Paaren, die ich kannte, existiert heute gerade noch eins.
Sie erinnern uns an Romeo in »Romeo und Julia«.
Ach ja?
Bei Shakespeare ist Romeo am Anfang auch wie Sie. Er liebt den kurzen Reiz, den Flirt. Er liebt das Lieben, aber nicht die Frau. Dann trifft er Julia.
Wer wäre nicht lieber der Romeo vom Anfang? Aber täuschen Sie sich nicht: Ich liebe die Frau sehr wohl. Innig und beharrlich, aber eben nicht um jeden Preis, also nicht nur, weil ich es nicht aushalte, allein zu sein.
Wenn eine Beziehung wie ein Felsen ist, aus dem man eine Skulptur meißelt, dann tauschen Sie immer wieder den Felsen aus, anstatt an Ihrer Steinmetzkunst zu arbeiten.
Eine Beziehung ist aber nicht statisch wie ein Stein. Ich verändere mich in der Beziehung, die Frau verändert sich. Und wir driften. Das ist heikel und unter Umständen beglückend. Und was meinen Sie, wie viele nur meißeln, weil sie Angst haben vor dem Horror vacui des Alleinlebens? Daraus wird keine glückliche Ehe, und wenigstens belaste ich die Welt nicht mit einer unglücklichen.
Vielleicht verpassen Sie eine Form von Nähe, die sich erst nach zehn oder zwanzig Jahren einstellt.
Auf einer Weltreise habe ich mal ein Paar aus England getroffen. Wenn der Mann auf die Toilette ging, sagte die Frau: »Ist er nicht wunderbar?« Ging sie zur Toilette, sagte
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