Glauben Sie noch an die Liebe
Kohls und Mitterrands im Januar 1990 dazu geführt, dass Frankreich nach außen hin die Einheit unterstützte, weil Kohl den Euro versprach. Mit Freundschaft hatte das nicht allzu viel zu tun. Kurz gesprochen: Für den Euro kam die Einheit.
Wo Sie gerade Mitterrand ansprechen – es ist doch interessant, dass die Franzosen dessen Lebensmodell nicht verurteilt haben. Heute weiß man, dass seine Geliebte mit seinem unehelichen Kind in einem Seitenflügel des Élysée-Palasts lebte. Dieses Modell der »libertinage« scheint in Frankreich eine ungemein hohe Akzeptanz zu haben. Wie ist das historisch zu erklären?
Das Modell der »libertinage« ist historisch gewachsen. Als katholisches Land mit der Möglichkeit der Beichte, der Vergebung und des Verzeihens hat Frankreich offenbar eine größere Toleranz als die strengeren protestantisch geprägten Länder, wo der Einzelne alles mit seinem Gewissen und dem Boss da oben direkt ausmachen muss und nicht die Umwege über Heilige gehen darf. Italien ist in dieser Hinsicht ganz ähnlich, Spanien komischerweise nicht. Dort hat die Kirche eine stärkere und striktere Rolle für die Volksmentalität gespielt. In Frankreich aber ist der sexuell ausschweifende Lebenswandel seit dem Sonnenkönig ein Modell, das toleriert wird.
Ist die ältere deutsche Geschichte frei von solchen Auswüchsen?
Selbstverständlich nicht. Ich will das an einem schönen Beispiel aus der deutschen regionalen Geschichte belegen. Die Mainzer Erzbischöfe waren ja gleichzeitig Kurfürsten, sie gehörten zu den sieben Kurfürsten des Reiches, und es war in der Renaissance üblich, dass die Kurfürsten Geliebte hatten, auch die Erzbischöfe. Aber immerhin wollten sie diese Geliebten von den strengen Augen des Domkapitels in Mainz fernhalten. Also brachten sie die Mätressen immer gerne in ihre Sommerresidenz in meiner Heimatstadt Aschaffenburg. Das ging teilweise über Generationen so. Es gibt ein schönes Bild von Lucas Cranach dem Älteren, das zeigt, wie der Kurfürst im Festumzug durch die Straßen zieht. Unter den Zuschauern ist eine Frau besonders mit Licht versehen und mit großen, ausdrucksvollen Augen. Cranach hat hier verschlüsselt die Geliebte des Kurfürsten gemalt, sie ist also verewigt.
»Der Historiker ist ein Reporter, der überall dort nicht dabei war, wo etwas passiert ist«, schrieb der englische Schriftsteller, Arzt und Geheimagent William Somerset Maugham . Der Historiker Guido Knopp beherrscht die Kunst, seinen Zuhörern das Gefühl zu vermitteln, er sei doch dabei gewesen – ob in der Sommerresidenz der Kurfürsten, bei der Saumagenorgie des Kanzlers oder an den Schauplätzen der »Bilder, die Geschichte machten«. Einige der historischen Fotos, die zum Gegenstand einer Knopp-Dokumentation wurden, hängen in Knopps Büro: Mondfahrer Edwin »Buzz« Aldrin als Star des ersten Porträtfotos, das auf einem fremden Planeten entsteht – aufgenommen von seinem Kommandanten Neil Armstrong. NVA-Soldat Gerhard Schumann wagt den Sprung in die Freiheit über die noch unbefestigte Grenze neben der Berliner Mauer. Fußballlegende Fritz Walter feiert den sensationellen Sieg Deutschlands gegen Ungarn bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954. Die Fotos werden lebendig, wenn Knopp sie kommentiert. Und wenn es dem Historiker schon nicht vergönnt war, selbst den Auslöser zu drücken, so hat er immerhin die Protagonisten für seine Filme getroffen und sich die Fotos von ihnen signieren lassen.
Selbstverständlich hat auch die Liebe einen Ehrenplatz in seiner Galerie der Bilder, die Geschichte machten: Christine Keeler, das britische Model und Callgirl , posiert rittlings nackt auf einem Stuhl. Die sündige Keeler unterhielt eine Affäre mit dem britischen Kriegsminister John Profumo und verlustierte sich gleichzeitig mit dem sowjetischen Marineattaché und KGB -Agenten Jewgenij Iwanow . Diese Dreiecksbeziehung war 1963 einer der Gründe für den Sturz der Regierung Harold Macmillans.
Knopps Lieblingsmotiv ist der »Kissing Sailor«, ein ungestümer Kuss, ausgetauscht zwischen zwei Fremden: einem Seemann und einer Krankenschwester auf dem Times Square in New York am 14. August 1945. Es ist der Victory Day. Japan hat kapituliert, der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Der Fotograf Alfred Eisenstaedt hat den Taumel dieses Tages festgehalten. Und Knopp hat das Paar Jahrzehnte später ausfindig gemacht. George Mendonça hat für ihn auf das Foto geschrieben: »I’m the kissing sailor.« Und die Geküsste
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