Glauben Sie noch an die Liebe
Kohl-Psychologie der Deutschen ist ein interessantes Phänomen. Kohl ist eine sehr süddeutsche Figur, ein Pfälzer. Und ich habe immer beobachtet, dass er in Süddeutschland, also südlich der Mainlinie, ausgesprochen gut ankam – im Gegensatz zum Norden. Und es waren ja auch Presseorgane aus Hamburg, der Stern , der Spiegel , die Zeit , die ihm all diese unvorteilhaften Titel wie »Birne« und »Provinzler« verpassten, weil er eben einen pfälzischen Ton in seiner Sprache hatte. Südlich der Mainlinie machte das überhaupt nichts aus. Aber die wahre Trennlinie Deutschlands war auch in der Zeit der Spaltung nie die Ost-West-Linie, sondern die Mainlinie. Die Mentalitäten stellten sich ganz anders dar. Wer das übrigens sehr gut wusste, war der alte Churchill. Er sagte auf der alliierten Kriegskonferenz von Teheran bei der Frage, wie man Deutschland teilen solle, sinngemäß: »Teilt das Land nicht in Ost und West, das wird nicht halten. Teilt es auf in Nord und Süd: Im Norden das böse, militärische Preußen, das müssen wir streng behandeln. Der Süden ist katholisch, barock und mild, da sind die Weinbaugebiete, mit den Leuten dort können wir nachsichtiger sein.«
Kohl kam also im Norden nicht so gut an, im Süden schon. Reicht das für vier Amtszeiten als Kanzler?
Sicher hatte Kohl auch das Glück, zur richtigen Zeit Kanzler zu sein. In den Wendejahren 1989/90 war er genau die richtige Figur. Denn es war wahnsinnig wichtig, im Ausland um Vertrauen zu werben. Unsere Nachbarn hatten Angst vor einem neuen Superreich mit achtzig Millionen Einwohnern. Und solche hausväterlichen Figuren wie Kohl und Hans-Dietrich Genscher an der Spitze des Staates waren ja fleischgewordene vertrauensbildende Maßnahmen.
Dann spielte wahrscheinlich auch die Kanzlergattin in der Außenwirkung eine große Rolle?
Absolut. Hannelore Kohl war eine sehr patente Frau, und sie stand felsenfest hinter ihrem Mann.
Sie sagen, sie stand hinter ihrem Mann. Nach allem, was man heute weiß, fiel ihr das vermutlich nicht ganz leicht. Offenbar hatte Helmut Kohl ja Probleme, selbst zu seinen Söhnen ein normales familiäres Verhältnis aufzubauen. Wieso erduldete sie so lange so viel?
Vermutlich fühlte sie starke Loyalität, natürlich auch das Gefühl einer jahrzehntelangen, gemeinsamen Kameradschaft, und sicher auch Liebe. Bestimmt hatte sie zudem das Grundgefühl, ihrem Mann nicht in den Rücken fallen zu wollen. Was sie nun wusste von den Gerüchten, die immer bei Mächtigen gestreut werden, ob er mal da oder dort eine Gelegenheit genutzt hat, weiß ich nicht. Aber ich kann mich an die letzte Szene erinnern, als ich die beiden gemeinsam erlebt habe. Das war im November 1999 auf einem Ball in Mannheim zugunsten ihrer Stiftung. Sophia Loren war auch da als Ehrengast. Meine Frau und ich saßen am Tisch von Helmut Kohl. Es war ein Jahr nach seinem Rücktritt und vier Wochen vor dem Beginn der Spendenaffäre – aber das war noch nicht bekannt. Als er und seine Frau Hand in Hand in den Saal kamen, standen die Menschen auf und spendeten fünf Minuten lang Beifall. Sophia Loren, immerhin auch ein Weltstar, kriegte nur anderthalb Minuten Standing Ovations, aus Höflichkeit. Die Leute feierten Kohl als Helden, und ich sagte zu ihm: »Sie sind für die Menschen der Einiger des Landes, vergleichbar Bismarck nach dem Rücktritt 1890.« Jedenfalls wirkten Helmut und Hannelore Kohl auf mich sehr kameradschaftlich und einander nahe. Ich spürte durchaus eine enge Vertrautheit.
Wie verstanden sich Helmut Kohl und die vorhin bereits erwähnte Margret Thatcher?
Kohl und Thatcher, das hat überhaupt nicht funktioniert. Die Iron Lady äußerte sich hinter verschlossenen Türen immer sehr kritisch über Kohl: »Oh, he is so German!« Er hat sie natürlich auch gezwungen, bei Speyer Saumagen zu essen, das ist ja schon Hardcore.
Persönliche Beziehungen spielen in der Analyse eines Historikers offenbar eine große Rolle. In der Politik ist oft von »Freundschaft« die Rede. Ist so eine Freundschaft im wörtlichen Sinne gemeint?
Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand sagten übereinander immer »mein Freund«. Aber sie hatten eine ganz merkwürdige Beziehung. Hinter den Kulissen hat Mitterrand kräftig gegen Kohl opponiert, und es gab damals in der politischen Klasse Frankreichs dieses schöne Wort: »Wir lieben Deutschland so sehr, dass wir am liebsten zwei davon hätten.« Letzten Endes hat erst dieser berühmte Strandspaziergang
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