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Gleich bist du tot

Titel: Gleich bist du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain McDowall
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Versuche, ihm ein Leckerchen abzuringen. Er stand an der Spüle, nahm ein paar große Schlucke und dachte dann: Verdammt, es ist schließlich auch mein Haus.
    Zu viert hatten sie es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Zu fünft, zählte er Cathy mit. Ein älterer Typ namens Benny Soundso, gegen den Kerr eigentlich nichts hatte, nein, er war noch der Beste der Truppe, dazu zwei Frauen in Cathys Alter, deren Namen Kerr sich einfach nicht merken konnte. Cathy meinte, das liege nur daran, dass sie nicht gut genug aussähen, womit sie wahrscheinlich vollkommen recht hatte, was er Cathy gegenüber aber niemals zugeben würde. Und dann war da noch Edward, oder Ed, wie er lieber genannt wurde. Spätzwanziger, rasierter Schädel, schmächtig und mit einem Ring im linken Ohr. Kerr hielt ihn für schwul, aber Cathy sagte, das sei er nicht. Nicht, dass Kerr das gekratzt hätte. Das war nicht das Problem, das er mit Ed hatte.
    Benny stand aus dem Sessel auf, in dem er gesessen hatte.
    »Macht Platz für die arbeitende Bevölkerung, wie ich immer sage«, erklärte er. »Ich sollte sowieso sehen, dass ich loskomme.«
    »Ich auch«, sagte eine der Frauen. »Ich will morgen früh mit meinem Essay anfangen, jetzt, wo endlich Wochenende ist.«
    Kerr nahm an, dass sie die war, die Dorothy hieß, aber er wollte das Risiko nicht eingehen und es aus Versehen verpatzen.
    »Bitte, wegen mir müsst ihr nicht aufbrechen«, sagte er, setzte sich und klang weit aufgeräumter, als er sich fühlte.
    Cathy sagte, sie seien doch sowieso mit ihrer Diskussion fast durch, da sollten sie den Moment noch bleiben. Benny klemmte sich aufs Sofa neben Ed, und die Frau, die vielleicht Dorothy hieß, blieb, wo sie war.
    »Was Orwell also sagt, ist, dass man sich nicht auf die Prolos verlassen kann, wenn es darum geht, gegen Big Brother zu Felde zu ziehen. Solange sie Arbeit und billige Unterhaltung haben, sind sie völlig zufrieden«, sagte Ed.
    Er schwenkte beim Sprechen sein Weinglas gefährlich durch die Luft und machte ein Gesicht, als wäre er völlig unnötigerweise bei einer wichtigen, dringenden Aufgabe unterbrochen worden. Vielleicht bei der Erfindung einer alltagstauglichen Form der Nuklearfusion oder dem Verfassen einer Fortsetzung von ›Hamlet‹.
    »Wobei Big Brother heute selbst zur billigen Unterhaltung gehört. Das ist es, was ich eine wirkliche Ironie der Geschichte nenne«, fügte der alte Benny augenzwinkernd an.
    Die anderen lachten, und die Unterhaltung ging weiter. Kerr trank sein Bier und versuchte sich auf Robert Johnson zu konzentrieren: ›Stones In My Pathway‹. Stimme wie Gitarre klangen selbst als Hintergrundrauschen finster majestätisch. Cathy war »rastlos« (sie selbst hatte es so genannt), seit die Zwillinge alt genug waren, dass sie wieder in Teilzeit zurück in ihren Beruf konnte. »Ich verfalle da in einen Trott«, war eine andere Formulierung von ihr. Ihr letzter Versuch, mit ihrem Gefühl von Rastlosigkeit umzugehen, bestand in der Belegung eines Kurses der Open University. Das war für Kerr kein Problem. Auch nicht, dass einige der Studenten aus ihrem Kurs, die sich im OU-Zentrum Crowby trafen, eine Art Selbsthilfegruppe gegründet hatten, die sich ein paarmal im Monat im Haus oder der Wohnung von einem von ihnen trafen, um Dinge rund um den durchgenommenen Stoff zu besprechen. Nein, das alles war in Ordnung. Kerr hatte allein mit Eddie-Boy Probleme. Offenbar war er Werbezeichner und arbeitete für eine regional tätige Werbefirma. Aber natürlich war das nicht der Punkt. Nein, nein, es lag daran, dass Eddie einer dieser halbgebildeten Mittelklassetypen war, die sich was darauf einbildeten, gegen die Polizei zu sein, ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben, worum es in dem Beruf eigentlich ging und wer die Leute waren, die ihn ausübten.
    Cathy hatte sich für einen geisteswissenschaftlichen Abschluss eingeschrieben, und der Einführungskurs, den sie im Moment belegte, beschäftigte sich mit Orwells Klassiker ›1984‹. Das war ein Buch, dem Kerr in seiner Jugend nicht hatte entkommen können. Jahrelang hatte es zu den liebsten Büchern seines Vaters gehört, bis schließlich herausgekommen (oder in die Welt gesetzt worden) war, welchen »Verrat« Orwell auf dem Totenbett begangen hatte: dass er, wie es hieß, die Namen »geheimer« Sowjetsympathisanten an einen Schleimer vom MI5 weitergegeben hatte. Kerr senior hatte daraufhin Orwells Buch nicht nur aus dem Haus verbannt, sondern zusammen mit allem, was mit

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