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Gleich bist du tot

Titel: Gleich bist du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain McDowall
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gesagt, er solle aufhören. January hatte kurz davor gestanden, das Bewusstsein zu verlieren. Das war gewesen, nachdem die vier sie gefilmt hatten und sie glaubte, sie würden sie wieder allein lassen. Aber dann wollten sie noch etwas wissen, und sie wusste es nicht gleich und konnte ihnen zunächst keine Antwort geben. Sie erinnerte sich, wie es ihr wieder eingefallen war und sie es ihnen gesagt hatte, weil sie nur noch wollte, dass sie aufhörten, ihr wehzutun. Es war ein komisches Detail, und sie fragte sich, warum sie es wissen wollten, wo es doch so völlig nutzlos für sie war. Es hatte mit nichts zu tun, schon gar nicht mit den Sachen, die sie vorher hatten wissen wollen und die ihr noch verständlich vorgekommen waren. Es sei denn . . .
    Sie sah den Apfel an, den sie auf den kleinen Bambustisch gelegt hatte, wo er ihr ein wenig überzeugendes Stillleben zu bilden schien. Wenn sie ihn jetzt aß, konnte sie sich vielleicht etwas hinlegen und versuchen auszuruhen. Darum ging es letztlich nur noch, wenn man gefangen und einem die Freiheit genommen war: ob man sitzen bleiben oder sich hinlegen, die Augen schließen oder aufhalten sollte. Nein, sie würde ihn noch nicht essen. Sie legte sich auf die nicht schmerzende linke Seite und schloss die Augen. Das mit dem Film war ein gutes Zeichen, sagte sie sich wieder. Vielleicht war es ein erster Schritt, hier herauszukommen, und es waren die positiven Dinge, auf die sie sich konzentrieren musste. Auf alles Positive, bloß nicht auf die hoffnungslosen Dinge. Perry zum Beispiel. Sie wusste nicht sicher, ob sie ihn im Wald zurückgelassen hatten, und war zunächst davon ausgegangen, dass er auch irgendwo hier war. Irgendwo in der Nähe, und dass er einen Plan ausheckte. Das würde ihm ähneln: wie immer am Ende die Oberhand zu behalten, sich durchzusetzen. Und es gab noch mehr, woran sich Hoffnungen knüpfen ließen: Ganz sicher wurde sie mittlerweile vermisst, und die Polizei suchte nach ihr. Unmöglich, dass es nicht so war. Dafür würde ihr Dad schon gesorgt haben, oder Nick.
    Manchmal lernte man jemanden kennen und wusste absolut nicht, wozu es führen würde. Ohne Nick wäre die Band nicht zustande gekommen, ohne die Band wären sie nie auf Tour gegangen, und ohne die Tour . . . January hielt die Augen fest geschlossen, das andauernde künstliche Licht zerrte an ihren Nerven. Sie glaubte nicht an Karma, hatte es eigentlich nie getan, auch als Kind während der Zeit in Sedona nicht. Karma war eine Verzerrung, eine zu starke Vereinfachung. Tatsächlich wurde die Welt vom Zufall regiert. Erst hinterher hielt man die Ereignisse für unausweichlich, und das nur, weil es Millionen anderer Möglichkeiten nicht geschafft hatten, Wirklichkeit zu werden. An die guten Dinge, sagte sie sich wieder, denk immer nur an die guten Dinge.
    In einer Bar-Band in Venice hatte Nick gespielt, als sie ihn kennenlernte. Illegal. Coverversionen und Hits für die Menge. Der Sänger hatte ausgesehen wie ein Muskelmann aus einem Cartoon, und der Bassist lag mit seiner Spielerei öfter daneben, als dass er eine Note getroffen hätte. Aber Nick hatte sie von Anfang an überzeugt. Mit Läufen hoch auf dem Griffbrett, die zwischen Ruhe und Delirium wechselten, und einer englisch-skurrilen Stimme, die er hören ließ, wenn Mr Muskelmann den Mund hielt. Er spielte sichere alte Songs, von Green Day oder sogar REM, und machte sie zu etwas Fremdartigem, Neuem und Dunklem. Den Einheitsohren im Laden dort gefiel das nicht, aber January begriff ihn. Nach dem zweiten Set bestellte sie ihm was zu trinken und bot sich ihm gleichsam an. Er war auf das vage, halbe Versprechen eines Plattenvertrags aus England herübergekommen, hatte kaum mehr Geld und Kredit, durfte laut Visum noch einen Monat bleiben und hauste in einer völlig heruntergekommenen Bruchbude am Pico Boulevard. Unmöglich, da ein reiches blondes Mädchen abblitzen zu lassen, das gut aussah, die richtigen Kontakte hatte, ein ruhiges klimatisiertes Apartment und zwei Cadillac-Cabriolets, ein rosafarbenes und ein schwarzes, jeweils passend zur Laune.
    Sie übten jeden Tag, von morgens bis abends, tauschten Songs und Ideen aus. Alles funktionierte, alles war toll, und wenn sie nicht gerade Musik machten oder an einer Band arbeiteten, zeigte January ihm Kalifornien. Er war seit drei Monaten drüben und kaum aus L. A. herausgekommen. An dem Wochenende, als er schließlich bei ihr einzog, waren sie hinauf nach Big Sur gefahren und hatten sich im River

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