Gleich bist du tot
und Brady sie mit den Worten entlassen hatte, dass ihre »Dienste« bis zum nächsten Morgen nicht mehr gebraucht würden. Warum machst du das?, hatte er sie gefragt. Warum lässt du dir diese Scheiße gefallen? Sie hatte damals eine wirkliche Karriereaussicht gehabt und an einer sündteuren amerikanischen Produktion drüben in Elstree mitarbeiten sollen, stattdessen aber alles hingeschmissen und sich Bradys »Projekt« angeschlossen. Adrian hatte auf eine Antwort gehofft, etwas Persönliches. Aber nein. Maria hatte ihm nur die üblichen Sprüche aufgetischt, die man bei jeder Fetischnacht an der Theke zu hören bekam. Es sei nur legitim, jeder könne sich den Lebensstil aussuchen, der ihm gefiel. Wer konnte schon sagen, woher Verlangen kam? Ob es angeboren oder anerzogen war? Und wen hatte es schon zu kümmern, wenn es genau das war, was jemand wollte, brauchte, wonach er sich sehnte? Natürlich habe sie es auch mit normalem Sex probiert, aber da sei sie vor Langeweile beinahe umgekommen. Brady gebe ihr, was sie brauche. Es sei fast so, als sehe er direkt in ihre Seele. Am Mittwoch, nach dem Tod der Frau in Coventry, hatte Adrian sie wieder gefragt, als Brady sie beide losgeschickt hatte, um den gebrauchten Volvo zu kaufen. Warum ausgerechnet Brady und Annabel? Glaubte sie nicht, dass die beiden es zu weit trieben? Sie tun den Menschen wirklich weh, Maria, sagte er zu ihr, als sie an einer Ampel in Aston standen, und sie zwingen dich dazu, es auch zu tun. Adrian musste sich noch an die Pedale und den Winkel des Steuers gewöhnen. Genau das ist es, sagte sie. Es ist real. Die beiden sind keine Amateure, die irgendwie rummachen, und deshalb werde ich ihnen immer dienen. Immer. Egal, was kommt. Sie sagte noch mehr, absolut idiotisches Zeugs. Dass Brady ein Genie sei, zum Beispiel, und die Welt das eines Tages auch begreifen werde. Ab da hörte er ihr nicht mehr zu, sondern blendete ihre Stimme aus und konzentrierte sich aufs Fahren. Ich bin allein, hatte er gedacht, völlig allein mit drei Wahnsinnigen.
Bevor er den neuen Film verschickte, musste er noch Bradys Zustimmung einholen. Aber er wollte nichts überstürzen, lieber saß er hier noch ein paar wertvolle, einsame Minuten. Keiner von denen wusste, wie lange es tatsächlich dauerte, so einen Film zu machen. Ganz gewiss nicht Brady. Brady konnte langweilige Texte von Barthes, Baudrillard und Derrida zitieren, bis die Kühe reingetrieben wurden. Was er sein ganzes Studium aber tunlichst vermieden hatte, war, irgendwo praktisch Hand mit anzulegen. Brady wurde nicht müde, sie daran zu erinnern, dass er Theoretiker sei, ein Visionär, sie dagegen, womit vornehmlich Adrian und Maria gemeint waren, bloße Laufburschen, das technische Personal, das seine Ideen in die Tat umsetzte. Das war natürlich der reine Schwachsinn, aber so war es von Beginn an gewesen. Adrian hatte nie etwas dagegen gesagt, genauso wenig wie gegen die Sexspiele und die Hirnfickerei, denn er hatte seine eigene Agenda, seine eigenen Ziele. Annabel kam in Bradys Ich-bin-der-große-Ideenproduzent-Rap nicht vor, weil sie theoretisch wie praktisch kaum andere Ambitionen hatte, als Bradys ewige, hirnlahme Freundin zu sein (wenn ein Soziopath wie Brady überhaupt so etwas Gewöhnliches und Alltägliches haben konnte wie eine Freundin). Doch Adrian wollte Annabel nicht Unrecht tun, sie hatte ein wirkliches Talent für die Identitätsjagd im Internet entwickelt, da war sie mindestens so gut wie Maria. Eigentlich gab es, wie Adrian plötzlich begriff oder zumindest deutlicher als zuvor sah, nur eine Person im Projekt, auf die sie jetzt, wo alles lief, leicht verzichten könnten. Er tippte spielerisch auf die Tasten des Laptops vor sich, ganz in Gedanken versunken: B-R-A-D- . . . Er hielt den Finger auf den letzten Buchstaben gedrückt und sah, wie er das Notizzettelfenster unten auf dem Bildschirm füllte: BRADYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY
Das Problem war, dass außer Adrian keiner von ihnen das auch nur im Ansatz kapierte.
Brady öffnete die Tür des Nebenhauses und ging hinein. Maria folgte ihm mit einem Tablett in den Händen. Darauf standen ein Tetrapak Orangensaft und ein Teller mit Hüttenkäse, Salat Niçoise und französischem Brot. Der Teller war aus Pappe, das Besteck aus Plastik. Beide, Brady und Maria, trugen schwarze Jeans und schwarze Hemden, was nach Bradys Wunsch an eine Art Uniform erinnern sollte. Brady gab sich dieses Mal keine Mühe, leise zu sein. Er wollte, dass
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