Gleichbleibend Schoen
Marzipanfüllung in den Teig …
Das Telefon klingelte.
» Hallo«, sagte ich.
Am anderen Ende der Leitung wurde jemand erwürgt.
Ich sagte die Nummer.
» Hallo, Schätzchen, wo warst du? Ich versuche schon seit Stunden, dich zu erreichen.«
Eine vertraute Stimme. Nur klang sie, als würde sie durch ein Stacheldrahtsieb gestrichen.
» Warum? Was ist los?«
Im Hintergrund ein gleichmäßiger Geräuschpegel. Irgendwo zerbrach scheppernd ein Teller. Besteck klapperte. Ich hatte richtig gelegen mit meiner Vermutung: Es war Mittag. Den Lärm erklärte ich mir damit, dass das Restaurant ungewöhnlich voll sein musste.
» Hast du die Zeitung nicht gelesen, Schätzchen?« Er klang fast beleidigt.
» Ja, ich meine, nein. Ich habe sie noch nicht richtig gelesen. Warum, was steht denn drin? Hat es was mit dir zu tun? Wirst du doch noch berühmt?«
» Ich kann es dir nicht sagen. Geh und lies auf Seite drei.«
» Na gut.« Ich legte den Hörer neben das Telefon und lief in die Küche. Ich setzte mich, schlug Seite drei auf und las.
Ich eilte nicht ans Telefon zurück, sondern trank langsam meinen Kaffee aus. Dann las ich noch einmal. Es dauerte lange, obwohl es nur vier halbe Spalten waren. In der Hoffnung, dass er längst eingehängt hatte, ging ich zum Telefon zurück. Ich hielt den Hörer ans Ohr. Er war noch dran. Der Hintergrundlärm schien noch lauter geworden zu sein, eine Mischung aus Wut und Aufruhr. Ein Geräusch wie von Schmeißfliegen, die die Nähe eines Kadavers verraten. Fröhlich jedenfalls nicht. Undeutlich hörte ich, wie Angelica draußen zu weinen begann. Laut und deutlich hörte ich Jonathan. Er atmete durchs Telefon direkt an mein Ohr und wartete.
» Ich hab’s gelesen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Warum bist du dort?«
» Mir ist nichts anderes eingefallen. Ich war die ganze Nacht wach, und in der Wohnung hab ich’s nicht mehr ausgehalten. Zuerst wollte ich zu dir kommen.«
» Das darfst du nicht.« Er wusste, dass ich das nicht wegen dem sagte, was ich gerade gelesen hatte. Niemand kam mich tagsüber zu Hause besuchen. Niemand sah mich eine Rolle spielen, die ich mir nicht ausgesucht hatte.
» Was wirst du jetzt tun?«, fragte ich.
» Ich weiß nicht. Hier ist es schlimm. Es war verrückt von mir, zu kommen, aber jetzt kann ich nicht mehr raus. Vor beiden Türen stehen Leute, und ich kann mir nicht vorstellen, wie ich an denen vorbeikommen soll.«
» Du könntest die Polizei rufen. Sie müssen dir Schutz bieten und die Leute wegschicken.«
» Nein. Die will ich nicht schon wieder sehen, das halte ich nicht aus. Außerdem brauche ich keinen Schutz. Alle finden es so verdammt komisch. Die kommen nur, um mich auszulachen.« Seine Stimme begann zu zittern. Wieder dieses Würgegeräusch. Draußen brüllte Angelica.
» Hör mal, ich muss jetzt leider Schluss machen. Das Baby schreit, hörst du?« Ich hielt das Telefon in Richtung des Lärms. Er sollte nicht denken, dass ich ihn anlog. » Außerdem scheint dein Laden voll zu sein, sicher machst du ein Bombengeschäft. Jede Art von Presse ist gute Presse, heißt es nicht so?« Ich lachte mitfühlend, um zu zeigen, dass es nur ein Witz war. Schweigen. Ich wartete, dass er Auf Wiedersehen oder sonst irgendetwas sagte. Ich machte mir Sorgen um Angelica, die in der Hitze so angestrengt brüllte. Würde man mir die Schuld geben, wenn sie dehydrierte und zu Staub zerfiel? Wütend umklammerte ich den Telefonhörer. Ich wollte ihn abwürgen, ohne mich hinterher schlecht zu fühlen.
Ich suchte immer noch nach Worten, als er sagte: » Die Hälfte der Belegschaft ist heute nicht aufgetaucht. Einschließlich des Barkeepers. Er hat angerufen und sich krankgemeldet. Die anderen hielten es nicht mal für nötig, sich zu entschuldigen. Bruce ist in der Küche, aber allein schafft er es nicht. Du kannst heute Abend nicht zufällig vorbeikommen und ihm helfen, oder?«
» Nein, keine Chance. Ich kann nicht weg. Tut mir leid.« Draußen das verzweifelte Wimmern und Hicksen von Angelica. Ein Auto kam die Straße entlanggefahren. Ich erkannte den Motor: Schwiegermutter. Das Auto hielt vorm Haus. Die Tür ging auf und fiel wieder zu. Schritte eilten wie von einem Magneten angezogen in Richtung Angelica. Das erstickte Geschrei hörte auf, stattdessen gurrend liebkosende Laute. Kind und Großmutter kamen ins Haus gestürmt. Zwei Köpfe tauchten in der Tür auf. Weit davon entfernt zu dehydrieren, schien Angelica angeschwollen zu sein, als steckte sie voll
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