Gleichklang der Herzen
Nachforschungen anstellen, dann würde der betreffende Brief sofort seiner Majestät dem König ausgehändigt werden. Das versichere ich Ihnen.“
„Dem König“, wiederholte Ravella erschrocken.
Der Graf nickte.
„Ja, Miss Shane. Ich muss Ihnen wohl nicht in allen Einzelheiten schildern, welche Folgen das haben würde. Seine Majestät vertraut dem Herzog. Er würde über alle Maßen erzürnt sein, wenn er erkennen müsste, dass sein Vertrauen missbraucht wurde.“
„Dazu darf es überhaupt nicht kommen!“, sagte Ravella. „Aber was kann man dagegen tun?“
„Ich habe mir gedacht und gehofft, dass Sie das fragen würden. Nun hören Sie gut zu, Miss Shane. Sie sind eine reiche Erbin, wie man allgemein weiß, aber Sie sind auch minderjährig. Trotzdem müsste es Ihnen doch möglich sein, sich ohne allzu große Schwierigkeiten eine bestimmte Geldsumme zu verschaffen.“
Während sie redeten, bewegten sie sich weiter im Walzertakt.
„Dieser Brief!“, flüsterte der Graf. „Ich bin sicher, dass ein Zeugnis, das die Ehre Ihres Vormunds so schwer belastet, für die unbedeutende Summe von eintausend Pfund erworben werden könnte. Aber es müsste schnell geschehen, am besten von heute auf morgen, denn sonst könnte der Brief Menschen in die Hände fallen, die völlig skrupellos sind.“
Ravella wäre fast aus dem Rhythmus gekommen und fragte verzweifelt: „Aber, Sir, woher sollte ich denn eintausend Pfund nehmen?“
Daraufhin lächelte der Graf nur milde.
„Ich bin sicher, dass Sie alles erreichen können, wenn Sie es nur wirklich wollen, Miss Shane.“
In diesem Augenblick war der Tanz zu Ende. Der Graf war im Begriff, Ravella zu Lady Harriette zurückzuführen. Noch hatte er Zeit, ihr etwas zuzuflüstern.
„Ich werde den Brief morgen um zwölf Uhr mittags zur Achilles-Statue im Hyde Park bringen. Falls es Ihnen nicht möglich ist, mich dort zu treffen, werde ich es nicht länger verhindern können, dass der Brief Seiner Majestät ausgeliefert wird. Wenn Sie dem Herzog etwas von unserem Gespräch verraten sollten, wird der Brief unverzüglich ins Carlton-Haus geschickt.“
Als Ravella wieder neben Lady Harriette stand, schien sich der Raum um sie zu drehen. Im weiteren Verlauf des Abends wusste sie kaum, was sie sagte oder tat. Sie tanzte, sie lächelte, sie ging im Gespräch auf ihre Partner ein und hoffte nur, dass sie keinen Unsinn redete. Ihre Gedanken kreisten nämlich unausgesetzt um ein einziges Problem, und das wurde immer größer, je weiter die Zeit fortschritt.
Eintausend Pfund! Wie könnte sie sich eine so hohe Summe beschaffen? Auf Anordnung des Herzogs zahlte man ihr jeden Monat eine Zuwendung von zweihundert Pfund aus. Das Geld für diesen Monat war jedoch schon ausgegeben, und sie hatte sich auch den Betrag für den kommenden Monat fast vollständig als Vorschuss auszahlen lassen.
Für die Verlobung von Lady Harriette mit Hugh Carlyon hatte Ravella Geschenke gekauft und das neue Kleid bezahlt, das sie an diesem Abend trug. Kleinere Ausgaben entfielen auf Handschuhe, Schuhe und Hüte.
Diese Käufe waren jeweils nötig gewesen, aber es kam noch anderes hinzu. Ständig gab sie kleine Beträge an Bettler, Straßenverkäufer, Lumpensammler und Kinder, die ihr Mitleid erregt und an ihre Großmut appelliert hatten.
Eintausend Pfund! Sie wusste nicht einmal, ob sie in diesem Augenblick eintausend Pence besaß!
Als sie nach Hause fuhren, saß sie schweigsam im Wagen.
„Bist du müde, Ravella?“, fragte Lady Harriette.
„Ja, ein wenig.“
Dann fragte sie unvermittelt den Herzog: „Bist du jemals in Irland gewesen?“
„Mehrfach. Warum fragst du?“
„Ach, nur so.“ Verlegen fügte sie hinzu: „Heute Abend war eine Dame aus Irland bei Almack’s.“
„Aber es war kein junges Mädchen aus Irland, für das du dich heute interessiert hast, Sebastian?“, neckte ihn Hugh Carlyon.
„Bestimmt nicht“, mischte sich Lady Harriette ein. „Die Prinzessin ist sehr schön, Sebastian. Der Marquis von Belchester hat mir erzählt, dass sie als die berühmteste Schönheit in ganz Frankreich gilt.“
„Das kann schon sein“, entgegnete der Herzog, hatte aber offenbar keine Lust, sich näher darüber auszulassen.
Eintausend Pfund! Ravella wiederholte sich unablässig diese beiden Worte. Wenn sie doch nur irgendetwas zu verkaufen hätte! Aber der einzige Schmuck, den sie besaß, bestand aus einer kleinen Brosche, die einst ihrer Mutter gehört hatte und die nur von geringem Wert
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