Gleichklang der Herzen
Vater … es geht um meinen Vater“, stammelte sie. „Er ist krank … bewusstlos. Ich fürchte, er hat einen Schlaganfall erlitten.“
Dem Major fiel auf, wie gepflegt und kultiviert sie sprach, was ihn angesichts ihrer ärmlichen Erscheinung verwunderte. „Wo ist Ihr Vater?“, erkundigte sich der Herzog.
„Da drüben in der Scheune“, gab das Mädchen zurück. „Wir haben in der vergangenen Nacht dort geschlafen.“
„Dann wollen wir nachsehen, was wir für ihn tun können“, bestimmte der Herzog.
Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt im Schritt dahin, während das Mädchen, noch immer um Atem ringend, neben ihm herging.
Der Major, der hinter ihnen ritt, nahm zur Kenntnis, dass das Mädchen gertenschlank war und sich mit auffallender Anmut bewegte.
Eine Zigeunerin kann sie nicht sein, sagte er sich. Wer sonst aber würde über Land wandern und in Scheunen nächtigen?
Er sagte sich weiter, dass die meisten Frauen sie glühend um ihre Haarfarbe beneidet hätten. Es war ein Farbton, den die Tänzerinnen der Oper nur unzulänglich durch Färben erreichten.
Es war nicht weit bis zur Scheune. Das Mädchen lief voraus, um das ein wenig offen stehende Tor weiter aufzumachen.
Der Herzog saß ab, warf die Zügel dem Major zu und folgte dem Mädchen hinein.
Vom Winterheu, mit dem die Scheune bis oben hin voll gewesen war, war nur noch ein kleiner Haufen in der Ecke übrig.
Dorthin strebte das Mädchen und beugte sich dann über einen Mann, der im Heu lag.
Der Herzog folgte ihr.
Zu seiner Verwunderung sah er einen vornehm aussehenden, weißhaarigen Greis mit fein geschnittenen Gesichtszügen vor sich. Er war mit einem fadenscheinigen schwarzen Gehrock bekleidet. Dieser und der weiße gestärkte Kragen wiesen ihn als Geistlichen aus.
Die geschlossenen Augen und das bleiche Gesicht ließen den Herzog zunächst glauben, der Mann sei tot.
Dann aber fühlte er ihm den Puls, so wie er es in der Nacht bei Richard getan hatte. Ja, das Herz schlug noch, aber so schwach, dass es kaum zu spüren war.
„Ist er noch am Leben?“
Das Mädchen brachte die Frage in einem so angstvollen Ton hervor, dass der Herzog froh war, antworten zu können: „Ja, er lebt. Aber es sieht so aus, als ob er wirklich einen Schlaganfall erlitten hat.“
Das Mädchen verschränkte die Hände ineinander, wie um seine Fassung wieder zu gewinnen.
„Was kann ich bloß tun?“, fragte sie. „Wo kann ich einen Arzt für ihn finden?“
„Der Zufall will es, dass in etwa einer Stunde ein Arzt in meinem Hause einen Krankenbesuch macht.“
„Würden Sie wohl so gut sein, ihn zu bitten, nach meinem Vater zu sehen?“
„Hm, ich würde vorschlagen, Ihren Vater zunächst einmal besser unterzubringen“, antwortete der Herzog.
„Leider haben wir kein Geld.“
„Von Bezahlung war nicht die Rede“, gab der Herzog mit unmerklichem Lächeln zurück. „Überlassen Sie getrost alles mir.“ Er drehte sich um und ging hinaus. Das Mädchen folgte ihm nach kurzem Zögern.
„Was haben Sie vor?“, fragte es.
„Ich reite zur Farm hinüber. Man soll eine Kutsche schicken, die Ihren Vater zu meinem Haus bringt. Sicher werden Sie ihn begleiten wollen. Am besten, Sie setzen sich auf den Boden und halten ihm den Kopf, damit er das Rütteln nicht so stark spürt.“
„Ja, das werde ich tun“, sagte das Mädchen erleichtert. „Vielen Dank. Vielen herzlichen Dank!“
Der Herzog hielt inne und sah sie an. „Wie heißen Sie?“
„Calvine. Mein Vater ist der Reverend Aaron Calvine. Wir kommen aus Northumberland.“
Der Herzog zog die Brauen hoch, versagte sich aber eine Bemerkung. Nachdem er sich in den Sattel geschwungen und die Zügel ergriffen hatte, sagte er: „Die Kutsche wird in einer Viertelstunde hier sein. Wir sehen uns dann später.“
Damit gab er seinem Pferd die Sporen. Der Major tat es ihm gleich und fragte, nachdem sie ein Stück zurückgelegt hatten: „Was ist passiert? Wer ist diese reizende junge Frau?“
„Ihr Vater ist Geistlicher und hat zweifellos einen Schlaganfall erlitten. Auf den ersten Blick glaubte ich, er sei tot.“
„Ein Geistlicher? Und was hat er in einer deiner Scheunen zu suchen?“
„Keine Ahnung. Sicher werden wir noch erfahren, warum die beiden so weit von ihrer Heimat entfernt unterwegs sind.“
„Woher kommen sie denn?“ „Aus Northumberland.“
„Ich habe den Eindruck, du tust mit Absicht so geheimnisvoll.“
„Ich kann nicht mehr sagen, als ich selbst weiß. Da der alte Herr im
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