Gleis 4: Roman (German Edition)
fortfuhr, sie wolle nochmals Martins ganzen Koffer durchsuchen, um die Adresse seiner Tante zu finden, nickte Isabelle und sagte, das würde ihnen beiden weiterhelfen, denn sie selbst könnte auf die Weise auch den Sohn von Mathilde Meier finden, der sie mit diesen seltsamen Anrufen belästige.
Ihr Telefon klingelte. Es war Sarah, die ihr sagte, sie sei in der Museumsgesellschaft und habe die beiden Zürcher Zeitungen nach einer Todesanzeige für Mathilde Meier durchgesehen, aber keine gefunden. Dann habe sie die Friedhofsverwaltung angerufen und nach den Angehörigen gefragt, aber die gäben keine Auskunft, aus Datenschutzgründen.
Das sei sehr lieb, sagte Isabelle, aber sie brauche sich wirklich nicht darum zu kümmern, sie habe bestimmt Gescheiteres zu tun.
Es beunruhige sie einfach, sagte Sarah, dass da eine Geschichte am Laufen sei, die sie nicht verstehe, und der Typ unten am Eingang gestern habe ihr gar nicht gefallen.
»Sarah, wenn ich das Gefühl haben sollte, ich sei in irgendeiner Gefahr, würde ich es dir sagen.«
»Aber sicher?«
»Sicher, Schatz.«
Gut, sagte Sarah, aber eine Frage wäre da noch. Sie habe sie doch gefragt, was die roten und die blauen Pfeile auf dem Handy bedeuteten. Wie viele rote es da gegeben habe.
Einen, sagte Isabelle, und bevor ihre Tochter weiterfragen konnte, sagte sie, sie habe die Nummer ausprobiert, das sei die Stadtverwaltung von Uster gewesen, die Martin offenbar am Montagmorgen angerufen habe.
»Aha«, sagte Sarah, »jetzt wissen wir doch schon ein kleines bisschen mehr.«
»Was denn?«
»Der Kanadier Martin Blancpain stammt aus Uster.«
12
»Also«, sagte der Zivilstandsbeamte der Einwohnergemeinde, schaute durch seine Lesebrille nochmals auf Martins Totenschein und dann über die Brillenränder hinweg zu seinen Besucherinnen, »das Geburtsdatum wäre der 28. Januar 1940.«
Er legte ein großformatiges, schweres schwarzes Buch auf die Theke und bat die beiden Frauen, sich auf die zwei Stühle vor dem Bürocorpus zu setzen. Als Sarah sagte, es mache ihnen nichts aus zu stehen, präzisierte er, dies sei mehr als eine Bitte, es sei notwendig, damit sie keine Einsicht in das Buch bekämen.
»Oh, natürlich«, sagte Sarah und erklärte Véronique, sie hätten sich zu setzen, damit sie keine Dinge sähen, die nicht für ihre Augen bestimmt seien.
Der Beamte warf ihr einen Blick zu, der verriet, dass er die Ironie wohl gehört hatte, und Sarah nahm sich vor, so korrekt wie möglich zu bleiben, denn eigentlich hätte Véronique ein Gesuch beim Kanton einreichen müssen, um diese Abklärung machen zu können, doch der Beamte war ihr bei der Schilderung ihrer Situation entgegengekommen und hatte zu Sarah, die sich als Véroniques Übersetzerin vorgestellt hatte, gesagt, sie drückten in dem Fall ein Auge zu.
Er begann nun im Buch zu blättern. 1940, sagte er lächelnd, das sei eben noch ein kleines bisschen vor der Digitalisierung gewesen, und Sarah lächelte pflichtbewusst mit.
Sie war kurz nach ihrem Anruf bei Isabelle erschienen und hatte sich anerboten, mit Véronique auf das Einwohneramt in Uster zu fahren, um nachzuforschen, ob sie dort einen Hinweis auf Martins frühere Existenz fänden.
Véronique hatte versucht abzuwehren, bestimmt brauche sie ihre Zeit für ihr Studium, Isabelle hatte vorgeschlagen, sie könne mitfahren, aber Sarah hatte lachend gesagt, sie sei im Moment froh um jede Ausrede, nicht lernen zu müssen, und Isabelle solle daran denken, dass sie immer noch Rekonvaleszentin sei und sich nicht zu viel zumuten sollte.
Und so blickten nun die beiden Frauen auf den grauhaarigen Mann in seinem hellblauen Blazer, der eine Seite nach der andern umblätterte, bis er innehielt und eine Stelle im Buch fixierte. Er verglich sie mit dem Totenschein, schaute dann die Besucherinnen an und gab ihnen bekannt, dass an diesem Tag zwei Geburten eingetragen seien, eine von Weber Anna, die falle ja wohl weg, und die andere von Wyssbrod Marcel, doch, indem er mit dem Kopf auf den Schein wies, das stimme ja auch nicht mit diesem Namen überein.
»Aber Marcel käme in Frage«, sagte Sarah, »so hieß er früher – oder gibt es auch ein Todesdatum?«
Da müsse er, sagte der Beamte, das Bürgerregister holen, denn als Heimatort der Mutter sei Uster angegeben. Ob sie das wollten?
Sarah nickte. »Gerne. Sehr gerne.«
Er bat sie um einen Moment Geduld, und während er auf die Suche nach Marcel Wyssbrod, Bürger von Uster, ging, versuchte Sarah Véronique zu
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