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Gleis 4: Roman (German Edition)

Gleis 4: Roman (German Edition)

Titel: Gleis 4: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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erklären, was der Unterschied zwischen Einwohner- und Bürgergemeinde war, was ihr nicht ganz leichtfiel. Man habe hier einen Ort, an dem man wohne, und einen Ort, woher man stamme oder woher die Vorfahren stammten, und das zweite sei eben die Bürgergemeinde. Sie zum Beispiel habe als Bürgerort ein Dorf im Kanton Luzern, in dem sie noch nie gewesen sei. Véronique wunderte sich. Bei ihnen werde nur der Geburtsort verzeichnet.
    Der Beamte kam mit einem ebenso gewichtigen und ebenso schwarzen Buch zurück, das er auf das andere legte. »Noch ein prähistorisches Dokument«, sagte er, öffnete es und hatte schon bald die richtige Seite gefunden.
    »Und?« fragte Sarah, »gibt es ein Todesdatum?«
    »Das nicht, bloß –«, er rückte seine Brille zurecht und stockte einen Moment.
    »Bloß was?«
    »Marcel Wyssbrod ist am 4. August 1962 für verschollen erklärt worden.«
    Véronique blickte Sarah fragend an, doch diese wusste nicht, was »verschollen« auf englisch hieß.
    Sarah wandte sich an den Beamten: »Wissen Sie –«
    »Missing«, sagte der.
    »That would also fit«, meinte Véronique, das würde auch passen.
    Ob er ihnen die beiden Einträge fotokopieren könne, fragte Sarah.
    Das dürfte schwierig sein bei dem Format, sagte der Beamte mit dem Anflug eines Lächelns, aber er schreibe ihnen von beiden einen Auszug, mit dem Stempel der Gemeinde, der als offizielle Bestätigung gelte. Die Gebühr betrage allerdings 30 Franken pro Dokument.
    »But what about the name?« fragte Véronique, indem sie Sarah und den Beamten anschaute.
    Dass Menschen, die sich in einem anderen Land eine andere Existenz zulegen wollen, den Namen wechseln, komme immer wieder vor, sagte der Beamte, und wenn sich Marcel oder Martin im französischsprachigen Teil Kanadas niedergelassen habe, wäre es logisch, wenn er auch einen französischen Namen angenommen hätte, und eine kleine Parallele falle da ja sofort ins Auge, n’est-ce pas?, und er schaute Sarah an.
    Sarah fiel keine Parallele ins Auge.
    »Was isch es Wyssbrot uf französisch?« fragte er sie.
    »Un pain blanc?«, sagte Sarah.
    »Eben.«
    »Blancpain!« rief Sarah, sprang auf und schlug sich an die Stirn, »Klar!«
    Der Beamte schloss sofort den Buchdeckel, behielt aber eine Hand zwischen den Seiten.
    Sarah erklärte Véronique den Zusammenhang. Diese nickte. Es wurde immer wahrscheinlicher, dass sie auf Martins Spur gestoßen waren.
    In einer Cafeteria tranken sie einen Cappuccino, und wenig später betraten sie die Eingangshalle des Bezirksgerichtes. Sarah erläuterte der jungen Frau am Empfang, die hinter einer Panzerglasscheibe stand, worum es ging. Sie legte die Kopie aus dem Bürgerregister vor und fragte, ob sie die Akten des damaligen Gerichtsverfahrens einsehen dürften, die zur Verschollenheitserklärung geführt hatten.
    Sie bekam zur Auskunft, heute sei Freitag, und leider arbeite die zuständige Gerichtsschreiberin nur 80% und sei erst am Montag wieder da. Diese müsste dann vorgängig feststellen, ob sie zur Einsicht legitimiert seien.
    Aber die 50-Jahresfrist sei doch gerade abgelaufen, warf Sarah mit einem Blick auf die Kopie ein.
    Da gebe es verschiedene Fristen, und das abzuklären sei eben Sache der Gerichtsschreiberin, doch wenn die Legitimation anerkannt werde, müssten sie das Dokument wohl noch am selben Tag zu sehen bekommen. Die Gerichtsurteile würden alle in ein Buch eingebunden.
    Sarah übersetzte Véronique den Bescheid. Sie ärgerte sich über den Persönlichkeitsschutz und über Teilzeitstellen und Job Sharing, über all das, wofür sie sich sonst einsetzte.
    Als Véronique sagte, ihr Rückflug sei erst für Mittwoch gebucht, und sie sei sehr zufrieden, wenn sie am Montag mehr von Martins Geschichte erführen, seufzte Sarah und sagte, ihre Geduld möchte sie haben.
    Plötzlich schnipste sie mit den Fingern, schaute auf die Uhr und bat Véronique, nochmals mit zur Stadtverwaltung zu kommen, sie habe etwas zu fragen vergessen.
    Mit schnellen Schritten durcheilten sie die Gerichtsstraße, und um fünf vor zwölf waren sie wieder im Stadthaus.
    »Glück gehabt«, sagte Sarah keuchend zum jungen Mann im Empfangsbüro, »ihr macht sicher gleich Mittag.«
    »Glück gehabt«, antwortete dieser salopp, »Freitag haben
wir durchgehend bis halb vier offen – worum geht’s denn diesmal?« Er hatte sie am Vormittag schon zum Zivilstandsamt verwiesen. Sarah fragte ihn, ob er am Montag Dienst gehabt habe.
    »Ich war die ganze Woche auf dem Posten«, sagte

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