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Gleis 4: Roman (German Edition)

Gleis 4: Roman (German Edition)

Titel: Gleis 4: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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ergeben haben im Laufe der Jahre eine weitere.
    Sie schrieb sie auf, zusammen mit der Frage, ob es Feste gebe, die von der Siedlung organisiert würden, richtete dann den Blick nach oben und dachte weiter.
    Neben dem Spiegel, der über dem kleinen Waschbecken angebracht war, hing ein Monatskalender einer Tierschutzorganisation mit dem Foto eines Igels. Daneben waren, über einer kleinen Kommode, zwei Regale mit ein paar Fläschchen, einem Rasierpinsel und einer Rasierseife. Auf dem oberen Regal war eine Spielzeugpuppe, wahrscheinlich ein Relikt aus den Kinderzeiten ihrer Tochter.
    Ob die Tochter noch Freundinnen aus ihrer Jugendzeit in der Genossenschaftssiedlung habe, könnte sie noch fragen.
    Und vielleicht noch, ob sie sich schon für ein Altersheim angemeldet hätten.
    Das müsste genügen, um den Schein zu wahren.
    Sie notierte die Fragen, zog die Spülung, erhob sich zum Rauschen des Wasserfalls, der im Spülkasten entsprang, und stand nun auf Augenhöhe mit der Stoffpuppe. Da fiel ihr etwas Eigenartiges auf. Die Nadel mit dem roten Köpfchen war nicht ein Schmuck des Lockenhaares, sondern sie steckte in der Schläfe der Puppe, und die zweite Stecknadel mit dem blauen Köpfchen war keine Brosche am rosa Strickjäckchen, sondern sie drang durch das Jäckchen durch und steckte in der Herzgegend der Puppe. Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche und machte ein Foto. Es blitzte, Sarah erschrak und merkte erst jetzt, wie düster es im Bad war.
    Als sie die Tür öffnete, stand Konrad Meier im Gang. Sarah erblasste, er musste während des Spülens eingetreten sein und hatte noch seinen Filzhut auf, unter dem er sie mit aufgerissenen Augen anschaute.
    »Wer sind Sie und was machen Sie hier?«
    »Eine Studentin!« rief seine Frau aus der Stube, und »Eine Studentin«, sagte Sarah fast gleichzeitig. »Ich mache«, fuhr sie fort, »eine Arbeit über genossenschaftliches Wohnen und befrage verschiedene Leute in Genossenschaftssiedlungen.«
    Meier kniff seine Augen zusammen.
    »Und was wollen Sie wissen?«
    »Z. B. wie lange Sie schon hier wohnen, ob die Mieten in dieser Zeit angestiegen sind, ob man Genossenschaftsversammlungen besucht, wie gut man sich innerhalb der Genossenschaft kennt – es sind eher … soziale Fragen.«
    »Und was haben Sie auf der Toilette gemacht?«
    Sarah versuchte einen kleinen Scherz. »Was man so macht auf der Toilette.«
    Kein Erfolg. Meier stand so, dass sie nicht an ihm vorbei in die Stube konnte. Er schwieg und musterte sie von oben bis unten. Sarah war mehr als einen Kopf größer als er. Jetzt müsste sie einen Plan C haben, »K.Meier kommt nach Hause«, doch es gab keinen Plan C.
    »Sie sind Herr Meier, nehme ich an?« fragte sie so höflich wie möglich.
    »Und Sie?«
    »Kanté, Sarah Kanté«. Den Nachnamen ihres Vaters hatte sie für die wenigen Fälle bereit, wo er ihr günstiger schien als Rast.
    »So, so. Eine Negerin.« Meier stützte seine Hände in die Hüften.
    Sarah beherrschte sich.
    »Mein Vater ist ein afrikanischer Arzt, meine Mutter ist Schweizerin.«
    »Und wie heißt sie?«
    »Auch Kanté – darf ich bitte in der Stube meinen Rucksack holen?«
    »Und wie hieß sie ledig?«
    »Entschuldigung, Herr Meier, aber das ist hier nicht von Interesse. Ich glaube, es ist wohl besser, ich gehe.«
    Meier trat zur Seite, Sarah ging in die Stube, nahm ihren Rucksack, den sie neben den Sessel gestellt hatte, schob ihren Notizblock hinein, hängte sich einen Träger über die linke Schulter und reichte Frau Meier, die ziemlich verdattert auf ihrem Kanapee hockte, die Hand.
    »Danke für die Auskünfte, Frau Meier, die Schokolade lasse ich Ihnen gerne da. Auf Wiedersehn.«
    Frau Meiers Hand war ein schlaffer Klumpen.
    »Ade«, sagte sie nur.
    »Ade, Herr Meier«, sagte Sarah im Korridor.
    Er stand so, dass sie neben ihm durchkam. Die Hände hatte er jetzt in den Hosentaschen und behielt sie drin, obwohl ihm Sarah ihre Hand hinstreckte.
    Als Sarah die Wohnungstür öffnen wollte, war sie abgeschlossen.
    Sie drehte sich um, und Meier stand nun einen Schritt vor ihr.
    »Was wollten Sie auf der Toilette?« fragte er.
    »Das hab ich Ihnen gesagt, ich musste auf die Toilette.«
    »Zum Fotografieren?«
    Sarah sah, dass die Toilettentür oben zwei Milchglasscheiben hatte.
    »Ich wollte schnell sehen, ob ein SMS gekommen ist und bin aus Versehen in die Fotofunktion geraten.«
    Meier machte einen Schritt auf sie zu und stand so nahe, dass er sie fast berührte.
    »Und was haben Sie dabei

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