Gleitflug
Meike besser sehen zu können »Du bist doch Meike?«
Plötzlich warf sich Skiq vor Meike auf die Knie und zog ihren Umhang auseinander. Schneeweiße Beine mit Tintenflecken und die unmöglich hohen Schuhe wurden sichtbar. »Sie hat Klötze an!«, schrie Skiq. »Die sind in ihren Schuhen!«
Ringsum waren alle Augen auf Meike gerichtet. Sie machte einen gequälten Eindruck.
Dolly zerrte ihren Sohn an seinem sommersprossigen Arm in die Höhe. »Kannst du dich nicht normal benehmen!«, zischte sie und schüttelte ihn.
»Mami, wir wollten doch Pfannkuchen essen!«, quengelte Freek.
»Das ist eine gute Idee.« Onkel Fred zeigte auf die Tische vor der Pfannkuchenbude. »Da hinten ist gerade was frei.«
Willem Slob stand auf und wischte sich die Hände mit einemTaschentuch ab. »Es liegt am Differential, das muss ersetzt werden. Das Getriebe«, erklärte er. »Daher das Quietschen beim Fahren.«
»Vielen Dank für den Tipp«, sagte Super Waling und startete seinen Karren. »Ich muss jetzt los und mich um ein paar Dinge kümmern. Erst einmal nachschauen, ob die Tischtennisplatte richtig aufgestellt ist.«
»Waling, willst du uns etwa schon verlassen?«, rief Onkel Fred. »Wir sind uns doch gerade erst begegnet. Komm, lass uns Pfannkuchen essen. Bis zur Vorstellung ist noch jede Menge Zeit.«
Dolly und die Jungen hatten sich schon gesetzt. Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und massierte ihre Schläfen.
»Wenn ich deinen wunderschönen Umhang sehe, schäme ich mich für meine Kutte«, sagte Waling, während sie sich im Zickzack durch die Menge zur Pfannkuchenbude bewegten. »Historisch liege ich damit völlig falsch, die Deicharbeiter trugen natürlich keine Kutten, aber die Arbeitskleidung passt mir nicht. Deshalb habe ich mich so verkleidet.«
Meike ging schwankend neben ihm. »Was ich anhab, ist anscheinend auch total falsch. Aber das bin ich gewohnt.«
Zu Gieles’ großer Erleichterung kam Super Waling nicht in Dollys Nähe. Er parkte den Karren am anderen Ende des Tischs, neben Meike. Sie wurde ein wenig gesprächiger. Während sie einen Pfannkuchen mit Speck und Sirup verschlang, erzählte sie Waling, dass sie seit einer Woche keine Vegetarierin mehr sei. Vielleicht werde sie es so machen wie Nicolas Cage, »du weißt schon, der Schauspieler. Der isst nur Tiere, die auf irgendwie imponierende Art Sex haben«, sagte sie mit vollem Mund. »Pferde und Fische zum Beispiel. Schweinefleisch isst er nicht, weil er Schweinesex widerlich findet.«
Gieles blickte zu Dolly hinüber, aber sie fütterte den Kleinen und unterhielt sich mit Fred und Willem.
»Ich hab Schweine noch nie dabei gesehen«, fuhr Meike fort. »Gänse auch nicht, aber ich werd nie eine Gans essen, das schwör ich.«
Sie streichelte die kleine Gans auf Gieles’ Schoß. Super Waling hörte amüsiert zu. Ab und zu trank er einen Schluck Wasser. Er hatte nichts essen wollen.
Der Kontrast zu den Fotos machte Gieles immer noch fassungslos. Da war der vierzehnjährige Waling mit seinem Vater nach dem Flugzeugabsturz. Der hübsche Lehrer in der teuren Lederjacke. Und dann der heutige Waling, der Fleischklumpen, der in keine Lederjacke mehr passen würde, selbst wenn sie siebenmal so groß wäre. Gieles hoffte, ihn ein paar Minuten allein sprechen zu können. Er musste mehr über das Flugzeugunglück erfahren.
Als Dollys Jungen ihre Pfannkuchen gegessen hatten, drohte die Stimmung zu kippen. Gieles wagte beinahe nicht mehr zu atmen. Freek erzählte seiner Mutter, Meike habe unter ihrer »Decke« nur einen Plastiksack an. Zuerst ging niemand darauf ein, aber er gab keine Ruhe und schnatterte weiter: »Unter der Decke ist ein Müllsack! Das hab ich genau gesehn!« Er sprang auf und schaute herausfordernd zu Meike hinüber.
»Halt den Mund«, sagte Dolly tonlos. Sie pfefferte ihre Gabel auf den Tisch. Es war eine allerletzte Warnung.
»Ich werde dann mal bezahlen«, sagte Willem, stand auf und verzog sich eilig zur Theke. Meike und Onkel Fred gingen zur Toilette. Skiq und Freek liefen zu ein paar Strohballen in der Nähe und fingen an, dagegen zu treten.
»Jetzt hab ich’s!«, rief Super Waling. »Du bist Dolly de Boer! Du hattest bei mir Geschichte, und ich erinnere mich, dass du Ärztin werden wolltest.«
Seine Augen funkelten, aber Dolly schaute ihn nicht an, sondern wischte Jonas energisch mit seinem Lätzchen den Mund ab.
»Die meisten Mädchen wollten Stewardess oder Friseurin werden, aber du nicht …« Waling wirkte verunsichert.
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