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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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unsere Leute. Ich glaube, er war noch jung, fast noch ein Welpe. Sie haben ihm den Schädel eingeschlagen.«
    »Diese Mistkerle«, stieß sie wütend hervor. Ihre Stimmung war vollständig umgeschlagen. Er sah es schon an ihren Augen, die dunkel wurden. Fluchend ging sie mit ihm fort. »Widerlicher Abschaum. Dreckshaufen.«
    Sie verließen das Dorf. Hier war die Straße noch gepflastert, aber voller Pfützen. Ide versuchte Sophia mit Geschichten abzulenken, in denen Tiere eine Hauptrolle spielten. Ein Pferd, das ein Mädchen aus einem brennenden Heuschober rettete. Junge Kätzchen, die von einer Ziege aufgezogen wurden. Unterwegs überholten sie Deicharbeiter, die langsam vor sich hin trotteten, übermüdet oder betrunken. Keiner hatte es mehr eilig. Das Hochgefühl verflüchtigte sich. Bald waren sie wieder niemand.
    Eine Viertelmeile vor sich sahen sie mitten auf der Straße Männer stehen. Im Kreis. Sie schienen sich abwechselnd in Bewegung zu setzen und in dem Kreis zu verschwinden. Ide ginglangsamer, Sophia schneller. »Komm«, sagte sie. »Ich will wissen, was da los ist.«
    Als sie bei den dicht an dicht Stehenden ankamen, ging sie in die Hocke, um zwischen den Beinen hindurchsehen zu können. Ide konnte über alle hinwegschauen, ohne sich auf die Zehenspitzen stellen zu müssen. Sein Magen zog sich zusammen. Auf der Straße lag ein Mann mit angezogenen Beinen und blutverschmiertem Gesicht. Sein Unterkiefer hing merkwürdig herunter, als wäre er an einer Seite ausgerenkt. Seine Augen waren geschlossen. Sophia sah ihn wohl auch, denn sie stieß einen Schrei aus, gedämpft von der Hand, die sie vor den Mund presste.
    Die Männer beachteten sie nicht. Sie waren wie in einem Rausch. Wortlos wechselten sie sich ab. Ein Mann trat in den Kreis. Holte mit dem Fuß aus, sorgfältig, als wolle er gegen einen Ball treten, und traf das Opfer mit der Innenseite des Stiefels am Brustkorb. Ein Schwall Blut kam aus dem Mund des Liegenden.
    Wieder schrie Sophia auf. Ide packte ihren Oberarm und versuchte sie wegzuziehen. Einer der Männer blickte sich grinsend um, bevor er sich wieder dem Inneren des Kreises zuwandte.
    Der Mann im Kreis holte ein zweites Mal aus und rammte seinen Absatz in das zertrümmerte Gesicht. Es war nur noch Blut zu sehen, der ganze Leib schien sich in Blut aufzulösen. Schnaubend und knurrend riss Sophia sich los, zwängte sich zwischen den Umstehenden hindurch und stürmte auf den Mann zu, der wieder an seinen Platz zurückkehren wollte. Sie bohrte die Fingernägel in seine Schläfe und fetzte ihm mit einer schnellen Abwärtsbewegung die Haut von der Wange. Verdutzt schaute der Mann sie an, er hatte die kleine Rothaarige nicht kommen sehen. Jetzt biss sie ihn in den Arm. Er packte mit der linken Hand ihr Haar und zerrte daran, aber ihre Zähne ließen nicht los. Ide griff Sophia um die Taille, doch die anderen Männer stürzten sich auf ihn. Sophia hielt den Arm immer noch mit den Zähnen fest und schlug wie rasend um sich. Dass ihrein Haarbüschel samt Kopfhaut ausgerissen wurde, spürte sie offenbar gar nicht. Der Mann packte wieder ihr Haar und zog ihren Kopf so weit zurück, dass sie seinen Arm loslassen musste. Er ballte die Faust und schlug ihr mitten ins Gesicht.

9
    Gieles legte den zweiten Teil der Geschichte in die Schublade. Er drehte sich einmal auf seinem Schreibtischstuhl um die eigene Achse und überlegte, wie Sophia wohl nach dem Faustschlag ausgesehen hatte. Vielleicht hatte sie keine Zähne mehr. Er zog den ersten Teil heraus und las noch einmal den Anfang. Ihre Schneidezähne sahen aus wie Kreide, von der kleine Stückchen abgebröckelt waren, und ihr Gesicht war unebenmäßig . Vielleicht war ihr Gesicht jetzt völlig schief. Oder sie hatten sie totgetreten.
    Er dachte an Super Waling. Vor einer Woche hatte er ihn und die Gecko-Frau an der Wendeltreppe zurückgelassen. Als die Rettungssanitäter kamen, war er geflüchtet, und er hatte seitdem nicht den Mut gehabt, Super Waling zu besuchen. Um ihn zu fragen, wie es seinem Arm ging, der so komisch verdreht gewesen war. Um seinen Rucksack abzuholen, der im Korb des Elektrokarrens liegen geblieben war.
    Um zu fragen, was die Gecko-Frau mit ihrer Bemerkung: »Nach allem, was du schon durchgemacht hast«, meinte.
    Hatte Super Waling eine schwere Krankheit, war er deshalb so dick? Eine tödliche Krankheit vielleicht.
    Gieles googelte »Übergewicht« und »Krankheit«. Eine lange Liste möglicher Leiden erschien auf dem Monitor. Er las

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