Gleitflug
Deshalb wollte er sehen, wie sie auf die Gestalt von Super Waling auf Rädern reagierten; das wäre ein sehr guter Test.
Auf der Straße vor dem Hof gab er Waling Anweisungen.
»Es muss wie ein Beinaheunfall sein«, erklärte er. »Du fährst mit Vollgas auf sie zu und bremst zwei oder drei Meter vor ihnen.«
Super Waling schaute ihn unsicher an.
»Sie müssen sich an Gefahr gewöhnen«, fuhr Gieles fort. »Ich will sie bei einer Castingagentur anmelden, und dann müssen sie auch tun, was der Regisseur will. Also ihr Anführer.«
Super Waling nickte, stellte keine Fragen und beobachtete die beiden Gänse, die Spekulatius verschlangen.
»Ich mache es kurz vor«, sagte Gieles. »Wenn ich darf, auf deinem Elektromobil. Mein Onkel ist nicht da.«
»Natürlich«, sagte Super Waling und stieg mühsam von seinem Fahrzeug. Onkel Fred und Gieles’ Vater waren ihm noch nicht begegnet, aber es hätte Gieles nichts mehr ausgemacht, wenn sie jetzt aufgetaucht wären. Die Scham wegen Walings Fett war verschwunden. Zumindest fast.
Gieles fuhr erst ein Stück in die andere Richtung, drehtedann, schrie »Bleib!« und sauste auf die Gänse zu. Erst im letzten Moment bremste er und kam weniger als einen Meter vor ihnen zum Stillstand. Sie blieben brav stehen, ohne dass ihnen das kleinste bisschen Stress anzumerken war.
»Bravo!«, rief Super Waling und klatschte in die Hände. »So viel Vertrauen! Sie sehen in dir ihren Anführer!«
Gieles wurde rot. Er wendete, hielt neben Waling und begann von Christian Moullec, dem berühmten Franzosen, zu erzählen, von seinem Ultraleichtflugzeug und seinen fantastischen Erfolgen mit Zwerggänsen.
Super Waling hörte zu. »Aber was du mit deinen Gänsen alles kannst, finde ich mindestens ebenso bewundernswert«, sagte er dann. »Ich meine, ich bin nie jemandem begegnet, der einer Gans das Tischtennisspielen beibringen kann.«
Gieles genoss seine Komplimente und sein Interesse. Es war wirklich so, wie Dolly es ausgedrückt hatte: Er hörte einem zu, als ob man der wichtigste Mensch auf der ganzen Welt wäre. Gieles zweifelte keinen Augenblick an seiner Aufrichtigkeit. Manchmal wusste man eben einfach, was echt war und was nicht.
»Jetzt du«, sagte er, plötzlich hatte er es eilig. »Aber du musst schnell machen, gleich haben sie keinen Hunger mehr.«
»Meinst du, sie haben wirklich keine Angst, wenn ich auf sie zufahre?«, fragte Waling und wedelte eine Wespe fort. Die Wärme lockte überall Insekten hervor.
»Aber das ist ja der Sinn der Sache«, sagte Gieles. »Ich geb das Start- und das Stopzeichen.«
Die Gänse wurden unruhig. Tufted blickte neugierig in das Gras am Straßenrand. Bufted tastete mit dem Schnabel in ihrem Federkleid.
»One … two … three … go!«, rief Gieles, und Super Waling zockelte los. Er hatte noch nicht die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als die Gänse gelangweilt den Hof ansteuerten.
»Schneller kann ich nicht«, sagte er entschuldigend. »Tut mir sehr leid.«
»Macht nichts«, sagte Gieles enttäuscht. »Sie hatten sowieso keine Lust mehr. Wir machen es ein anderes Mal.«
Auf dem Spotter -Campingplatz gab Waling Gieles eine Dose Cassis-Limonade. Er selbst trank Mineralwasser. Gieles hatte ihn nie etwas anderes trinken und nie auch nur einen Bissen essen sehen.
Sie saßen unter einer Eiche an einem Gartentisch, Gieles auf einem Stuhl, Waling auf seinem Karren. Diesmal trug er einen moosgrünen Jogginganzug und die blauen Crocs.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte er, als er Gieles’ Blick folgte. »Sie sind scheußlich. Unmöglich.«
»Welche Größe hast du?«
»Einundvierzig, manchmal zweiundvierzig.«
»Das ist klein«, sagte Gieles erstaunt. »Ich hab vierundvierzig.« Er streckte die Beine aus, damit Waling seine Sportschuhe gut sehen konnte.
»Ehrlich gesagt bin ich froh, dass wenigstens meine Füße noch normal sind. Wäre ja schrecklich, wenn sie auch so aufgegangen wären.«
Gieles stand auf, ging zur Scheune und kam bald mit einem Paar schwarzer Sportschuhe zurück.
»Das sind meine Basketballschuhe. Vielleicht passen sie dir. Sie sind natürlich alt, und orangene Schnürsenkel sind auch nicht mehr wirklich cool.«
»Ach was«, sagte Super Waling lachend. »Orange ist eine fröhliche Farbe. Aber du brauchst mir doch nicht deine Schuhe zu geben.«
»Ich hol sie mal raus.« Gieles begann die Schnürsenkel herauszufädeln. »Dann kommst du leichter rein … ohne Bändel sind sie auch viel besser.«
Er stellte die nun
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