Gleitflug
Bein. Er nahm sie auf den Arm. Ohne weiteres ließ sie sich von den Kinderhänden streicheln.
Im Wäldchen blühten viele Blumen, das Gras war hoch, die Blätter der Birken saftig grün. Manche Sträucher trugen rote Beeren. Ein paar der Kinder rannten zu dem Baum, den die Schule aus Protest gegen die Startbahn gepflanzt hatte. Es war eine Linde, inzwischen gut drei Meter hoch.
»Der Baum ist schmutzig«, stellte eins der Kinder fest.
Gieles betrachtete die kleinen schwarzen Flecken auf den Blättern. So sah auch der Ruß auf ihren Fenstern und auf dem Dienstwagen aus. »Das kommt von den Flugzeugen.« Er untersuchte die Blätter. »Der Kerosinruß landet auf der Erde und macht alles schwarz.«
Die Kinder hörten ihm aufmerksam zu. Skiq stand stolz neben ihm und hielt immer noch seine Hand. Wallie saß zufrieden auf seinem Arm und blickte sich neugierig um.
»Uns auch?«, fragte ein Mädchen.
»Ja, uns auch. Deshalb müssen wir jeden Tag gründlich duschen.« Er versuchte mit tieferer Stimme zu sprechen. »Und die Nase putzen. Sonst wird sie innen schwarz.«
Die Kinder bohrten in der Nase.
Barbara hatte abseits an dem von Schilf überwucherten Tümpel gestanden und kam jetzt zu ihnen. »Nein, Kinder, das kommt nicht vom Kerosin. Das ist Rußtau. Auf der Linde leben Blattläuse, und die sondern einen klebrigen Stoff ab, den Honigtau.« Sie rieb mit den Fingern über ein Blatt und zeigteden Kindern das durchsichtige Zeug. »Und darauf siedeln sich Rußtaupilze an, dadurch entstehen diese rußartigen schwarzen Flecken. Was Gieles gesagt hat, stimmt nicht.«
Skiq drückte Gieles’ Hand. »Gieles kann sehr gut Pingpong spielen«, verkündete er und sah seiner Lehrerin in die Augen. Seine Lippen zitterten, so wütend war er. Sie hatte seinen Freund blamiert. »Und seine Gans kann auch Pingpong spielen. Sie spielen beide auf dem Straßenmarkt, und ich darf zukucken.«
Die Lehrerin ging in die Hocke. Sie nahm Skiq am Arm und zog ihn sanft zu sich. »Soll Gieles etwas über seine außergewöhnliche Gans erzählen, Skiq? Ich verstehe nicht so viel von Gänsen.«
Der Junge zuckte mit den spitzen Schultern. »Wir müssen doch Schmetterlinge suchen.«
»Die können noch warten«, sagte die Lehrerin. »Wo ist eine schöne Stelle zum Hinsetzen, was meinst du?«
Skiq zeigte auf eine Ulme und rannte los. »Gieles!«, brüllte er. »Du musst neben mir sitzen!«
»Du bedeutest ihm viel«, sagte Barbara. »Er spricht öfter von dir als von Michael Jackson.« Dann folgte sie ihren Schülern.
Gieles ließ sich neben Skiq nieder und setzte die Gans auf den Schoß des Jungen. Die Kinder bombardierten ihn mit Fragen. Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Kann sie unter Wasser schwimmen? Wie hält sie den Schläger fest? Kann sie Punkte zählen? Versteht sie, was Menschen sagen? Gibt es Kampfgänse? Haben Gänse scharfe Zähne? Können sie ein Kind totbeißen?
Skiq umfasste die kleine Gans wie eine kostbare Porzellanschüssel. Eine Weile schien sie es zu genießen, dann hüpfte sie von seinem Schoß und watschelte in die Mitte des Kreises. Dort begann sie sich zu putzen. Sie strich mit dem Schnabel über ihren Bürzel und dann über ihr Gefieder. Zwischendurch blickte sie ihre Bewunderer an.
»Gänse haben genau vor den Schwanzfedern oben eine Art kleines Loch, aus dem Fett herauskommt«, erklärte Gieles, ermutigt durch Barbaras interessiertes Nicken.
»Und jetzt streicht sie mit dem Schnabel über dieses Loch und verteilt danach das Fett über alle Federn. So werden sie wasserdicht, genau wie Regensachen.«
»Hast du ihr das beigebracht?«, fragte ein Mädchen.
»Nein. So was wissen Tiere schon, wenn sie zur Welt kommen. Aber viele andere Dinge lernen sie von ihren Eltern.«
»Und wo sind ihre Eltern?«, fragte ein anderes Kind.
»Das weiß ich nicht. Aber ich bringe ihr sehr viel bei.« Wahrscheinlich hörte man ihm an, wie stolz er darauf war.
»Schaut mal!«, rief Barbara und zeigte nach oben. »Ein Faulbaum-Bläuling!«
Ein paar Meter über ihren Köpfen flatterte ein kleiner blauer Falter mit silberweißen Flügelrändern.
Gieles schaute dem blauen Falter hinterher, der über den Tümpel und an den Sträuchern entlang zur Straße flog. Und dort stand sie.
Obwohl sie mindestens fünfundzwanzig Meter entfernt war, erkannte er sie sofort. Er stammelte eine Entschuldigung, rappelte sich auf und ging auf sie zu. Als Erstes fiel ihm auf, wie klein sie war. Viel kleiner, als er sie sich vorgestellt hatte. Höchstens
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