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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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näher. »Denen da drunten hilfst du nicht mehr. Wer’s nicht geschafft hat, ist des Teufels. Bleib verflucht noch einmal still, und lass mich diese Wunde ansehen.«
    Erst jetzt, als der Ältere die Hand nach ihm streckte, sahSandy Og an sich hinab. Dort, wo Lochiel hinfasste, auf der linken Seite der Taille, war sein Hemd klatschnass, durchtränkt von Blut. Schmerz setzte ein, ließ ihn stöhnen, aber gemessen an dem, was Lochiel gesagt hatte, war es nicht einmal ein Kratzen. Denen im Tal kann niemand mehr helfen. »Ich …«
    »Halt den Mund.« Lochiel befühlte die Wundränder, dann zog er die blutige Hand unter Sandy Ogs Hemd hervor. »Hast du verstanden? Halt deinen großen, dummen Mund oder ich stopf ihn dir. Ich habe nichts zum Verbinden, es ist nicht schön, dass du all das Blut verlierst, aber du wirst’s überleben und du hast mit diesem Streifschuss Glück gehabt wie ein Wildschweinkeiler. Solch Geschoss eine Handbreit weiter rechts, das wäre kein appetitlicher Tod gewesen und auch kein leichter, das sag ich dir.«
    »Meine Leute«, versuchte Sandy Og es von Neuem. Der Schmerz biss zu. Er war frischer und schärfer als das dumpfe Hämmern im Kopf.
    »Ja, ja, deine Leute. Ich lese schon wieder, was du denkst, da staunst du, was? Du hast deine Leute im Stich gelassen, das denkst du, aber das ist Unsinn, und ich werde dir nicht erlauben, dir das einzureden. Blödsinnig besoffen hast du dich, daran wärst du krepiert, wenn ich dich nicht aufgesammelt hätte, und wärst du fünfzehn Jahre jünger, gäbe ich dir den Applaus dafür mit der Bullenpeitsche aufs Sitzfleisch, bis du winselnd heim zu deinem Vater kriechst.« Lochiel sah ihn in einer Weise an, die Sandy Og nicht deuten konnte, und schlug ihm über die Wangen, so sacht, als wage er nur nicht, ihn zu streicheln. »Pass auf dich auf, Freundchen, das ist deine Pflicht, kriegst du das in deinen Kopf? Deinen Leuten hättest du nicht helfen können, und wenn du nüchtern wie ein Brett gewesen wärst. Ich habe Buchan gewarnt, dass die Posten an den Furten nichts nützen, aber der arme Buchan, der im Nachthemd losgeflitzt ist, hat auch keine Schuld, denn was kann ein Mann dafür, dass er ein Idiot ist und in einer Zeit lebt, die keinen Platz für Idioten hat?«
    »Wer hat Schuld?«
    »Muss ich dir das sagen?«
    Erst jetzt sah Sandy Og, dass etwas den Alten schüttelte, dass dieses Schütteln unentwegt durch seinen Körper stob. Er setzte sich auf und packte die Hand, die ihm noch immer die Wangen strich. Der Schmerz war erträglich, im Kopf wie in der Taille. »Nein«, sagte er zu Lochiel und nickte. »Ihr braucht nichts zu sagen. Ich lese, was Ihr denkt.«

Kensington Palace, Juni 1690
    Als Kind hatte Mary ein Puppenhaus besessen. Eine hölzerne Schachtel, die in Räume unterteilt und behaglich ausgestattet war wie das Heim einer Familie. Mit solchen Häusern lehrte man Töchter von Dienstboten, einen Haushalt zu führen. Mary hatte eines zu sehen bekommen und es um jeden Preis haben wollen. Es machte ihr so viel Freude, ihr kleines Haus, das bis in die winzigste Einzelheit, die Troddeln der Vorhänge, die zierlichen Leuchter und die Henkel des Geschirrs, mit allem versehen war, was den Bewohnern zur Bequemlichkeit gereichte. Mary knüpfte Läufer für die Tische und Überdecken für die Betten, füllte Vasen mit daumennagelgroßen Papierblumen und liebte keinen Zeitvertreib so sehr wie die Fürsorge für ihr Haus. Bei ihrem Auszug war das Haus verloren gegangen, und noch als Gattin hatte sie des Nachts darum geweint. Ihr war, als ließe sich der Verlust ihrer Heimat ertragen, hätte man ihr nur ihr Heim in einer Schachtel gelassen.
    Sie war nicht sicher, warum sie auf einmal wieder an das Puppenhaus dachte, während sie in ihrem neuen Morgenzimmer Bilder aufhängte. Sie tat dies mit eigenen Händen und hatte auch jedes Bild selbst gewählt. Die Gemälde, zumeist Werke niederländischer Künstler wie Matthias Witthoos und Cornelius Heysmans, trugen Titel wie »Insekten an Blumen« oder »Blumen mit Uhrkette«, sie waren in kleinstem Format gehalten und bis ins Letzte liebevoll ausgestaltet. Sie im richtigen Winkel aufzuhängen war schwierig, aber Mary wollte keine Hilfe. Sie war endlich wieder Mary, die für ihr Puppenstübchen sorgte, ihr Heim in einer Schachtel mit seiner friedvollen, überschaubaren Welt.
    Sie mochte den Raum, der ihr allein gehörte. Er war nicht groß, denn Größe schenkte keine Geborgenheit; er war auch nicht hell, denn durch kleine

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