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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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weiterhin Krieg, und welche Rolle ihm darin zugedacht war, wollte Rob sich nicht fragen. Befasse dich mit dem, was anliegt, gebot er sich.
    Mit der Moral der Männer. Einmal monatlich verlas er ihnen auf Anweisung der Heeresleitung die neunundsechzig Artikel der Gesetze und Vorschriften zur militärischen Disziplin. Auf Englisch, dann der Sicherheit halber noch einmal auf Gälisch:
    »Artikel neun: Wer sich einem Befehl widersetzt und den Gehorsam verweigert, wird mit dem Tod bestraft …«
    »Artikel siebenunddreißig: Wer seinem Gastgeber, dessen Weib oder Kind oder Knecht, während er bei ihm einquartiert ist, Schaden zufügt, wird in Eisen gelegt.«
    »Artikel achtundfünfzig …«
    Rob kannte sie alle auswendig, aber der Moral der am Blutfluss siechenden Männer halfen auch die Gesetze nicht auf. Der Bau schleppte sich dahin. Schon wob der Oktober goldene Bänder aus Eiche und Holunder um die Hänge und ging vorüber, schon wurden die Nächte eisig, und die Erschöpften schliefen noch immer im Freien. Hill schrieb unentwegt nach Edinburgh und London, um Fleisch und Decken, Arznei und Seife zu erbetteln, aber Rob bezweifelte, dass jemand die Klagebriefe deskleinen Mannes las. Aus Not und um zu überleben, kaufte Hill Butter, Eier und Schinken von Cameron-Weibern. Breadalbane, Argyll und Dalrymple ließen sich nicht blicken, die Garnison am Fuß des Ben Nevis schien von aller Welt vergessen.
    Und dann kam Coll aus Keppoch. Wie an jedem Tag stand Rob im windgepeitschten Regen beim Graben und trieb die Leute zur Eile, als er den verhassten und geliebten Lärm hörte, das Röhren der Pfeifen, das wie aus verlorener Zeit herüberhallte. Der zu kurz geratene, aufgeplusterte Chief, MacIains Busenfreund, stand am Hang wie ein kleiner König, umgeben von Hofstaat: einem Gillimore, der ihm die Waffen schleppte, einem Reitknecht, der ihm den Gaul hielt, und einigen Trägern, die ihn trocken über die Furten bugsierten. Coll war unschwer an seinem bunten Tartan zu erkennen, und als er Rob entdeckte, winkte er, als schulde er dem Soldatenrock keinen Respekt. Obschon er so weit weg war, dass er sein Gesicht nicht erkennen konnte, hätte Rob geschworen, dass er grinste.
    Von der Baustelle her kam Gebrüll und lenkte ihn ab. Auf den modrigen Grasresten war einer der Arbeiter ausgeglitten und in die Grube gerutscht. Der ständige Regen hatte den Boden so durchweicht, dass der Gestürzte bereits bis zu den Schenkeln im Schlamm steckte und um sein Leben schrie. Rob hätte gerne mit ihm geschrien. All die Zwischenfälle, die Unwägbarkeiten und der nahende Winter – sein Leben war wie der Schlamm, der den Arbeiter verschlingen würde. Am liebsten hätte er den Kerl seinem Schicksal überlassen.
    Notgedrungen schickte er einen, um Seile zu holen, befahl den Gaffern, sich in einer Reihe aufzustellen, dem Unglücksvogel eine Schlinge zuzuwerfen und ihn daran in die Höhe zu ziehen. Tatsächlich bedurfte es dazu der vereinten Kräfte von sechs Männern, denn der Morast gab nur widerstrebend frei, was er sich einverleibt hatte. Der Bursche, der flennend und in Schlamm gebadet oben eintraf, hatte Strafe verdient, aber Rob wusste, dass Prügel oder eine gekürzte Essensration die Leistung des Arbeiters nur zusätzlich schmälern würden. Angeekelt wandte er sich ab.
    Bis zum Abend schlug die gedrückte Stimmung in zaghafte Hoffnung um. Keppoch mochte ein unerträglicher Wichtigtuer sein, aber er war wahrhaftig gekommen, um das Angebot seiner Gegner in Betracht zu ziehen. Er und Lochiel, so erklärte er, wären gegen einen Schutzbrief der Krone und etwas Handsalbe bereit, ihren Widerstand aufzugeben. Die mitgebrachte Friedensgabe – einer von Lochiels Rothirschen – trieb Rob das Wasser im Mund zusammen.
    Ohne zu zögern, wies Hill den miserablen Koch an, aus dem Hirschfleisch einen Schmortopf zu bereiten, und lud den Besucher ein, mit ihnen zu Abend zu essen. Aus den kargen Vorräten an Zucker, Wein und Fett wurde ein Mahl aufgetischt, wie Rob sich keines mehr erträumt hatte. Der Koch mochte ein Nichtsnutz sein und der Gast ein Viehdieb, den er hätte hassen sollen wie den MacIain, aber die Speisen waren üppig, die Krüge voll, und der Glanz echter Wachskerzen erhellte die traurige Offiziersbaracke. Er langte zu, beim Wein noch herzhafter als beim Fleisch, und füllte sich mit dem Whisky die schöne Tonflasche nach, die er von Lochiel bekommen hatte und immer bei sich trug. Bald unterhielten sich die drei Männer wie alte

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