Glencoe - Historischer Roman
Falschheit als gerade gewachsene Jugend.«
Mary weinte. Sie faltete den Brief mit Sorgfalt und schob ihn sich unter die Spitze am Halsausschnitt. Er rutschte bis auf ihr Herz, und ebenda gehörte er hin. Es war schon spät und sie war sterbensmüde, doch die Kraft musste genügen, um das Schreiben aufzusetzen. Erst als sie es gesiegelt hatte, rief sie einen Diener und ließ Burnet kommen. »Ich wünsche, dass dieses Dokument auf schnellstem Wege dem Staatsrat in Edinburgh zugestellt wird«, befahl sie. »Jeder Augenblick ist kostbar.«
»Eine Antwort an den Staatsrat? Sollten Hoheit damit nicht warten, bis Euer Gatte …«
»Ihr übermittelt den Brief«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Versucht nicht, mich umzustimmen, Burnet, und versucht nicht, mich zu täuschen. Diese jungen Schotten werden freigelassen, und wenn es das Letzte ist, das ich im Leben bewirke. Geschieht es nicht, wie ich es wünsche, so haftet Ihr mir dafür.«
8
Eid der Treue
Fort William, Inverlochy, September 1691
Im strömenden Regen stand John Hill am Rand des Feldes und sah zu, wie Robert Glenlyon mit seinen Leuten exerzierte. Er ließ sie in Reihe stehen und endlos die Musketen präsentieren, die Hähne spannen, die ungeladenen Waffen abfeuern, dann sie wieder zurückziehen und von vorn beginnen. Mit seinem Gehstock schritt er die Reihe ab, und Männern, die im Regen schauderten oder die immer gleichen Befehle nicht schnell genug befolgten, hieb er ihn über die Köpfe. Hill seufzte. In Jahrzehnten Heeresdienst hatte er Offiziere jeden Schlages erlebt und wusste einen geeigneten Mann von einem ungeeigneten oft schneller zu unterscheiden, als ihm lieb war. Robert Campbell von Glenlyon war ein ungeeigneter.
Der Mann tat ihm leid. Er gehörte nicht hierher. Hill war solchen Leuten bereits in London und auf seinem Posten in Irland begegnet, die machten hinter zierlichen Schreibtischen eine treffliche Figur, wussten erlesenen Wein zu wählen und parlierten mit verwöhnten Damen. In der Welt des Heeres, in der Hill zu Hause war, gab es manchen, der sie samt und sonders für wertlose Schmarotzer hielt, Hill jedoch teilte diese Ansicht nicht. Männer wie Glenlyon huldigten den feinen Dingen des Lebens, von denen er nichts verstand, Musik, Frauenschönheit, Eleganz. Gewiss war es seinesgleichen zu danken, dass selbst die abgerissensten Gefreiten an ihren Krägen weiße Spitze trugen. Hätte man Glenlyon seiner Art gemäß leben lassen und nicht von ihm verlangt, was er nicht in sich hatte, hätte er niemandem Schaden zugefügt. Wenn er seine Männer schlug –und er schlug sie ja ständig –, kam es Hill vor, als schlüge er in Wahrheit um sich, weil von allen Seiten etwas an ihm zerrte.
Dennoch durfte er Glenlyon nicht gewähren lassen. Die Garnison oblag so sehr seiner Verantwortung wie ein schutzloser Säugling, der seiner Mutter in den Arm gelegt wurde. Da zählte nicht, dass er ein alter Mann war, der am liebsten jeden hätte tun lassen, was er für richtig hielt, solange er ihm nur Ruhe gönnte. Hill hatte die Garnison zu bestellen wie ein Landbesitzer sein Feld. Hatte an Livingstone, den Kommandanten der Streitkräfte, und an Staatssekretär Melville zu schreiben, um sie über die geheimen Artikel von Achallader in Kenntnis zu setzen, von denen Sekretär Dalrymple zweifellos länger wusste als er. Hatte sich einem entrüsteten Schreiben Breadalbanes zu stellen, der klagte, er habe ihre Freundschaft verraten. Hatte Quartiere für die Truppen zu suchen, die ins Hochland bewegt werden sollten, hatte jedermanns Forderung Rechnung zu tragen und in seinen zittrigen Händen die Fäden zu halten, die sich immer unlösbarer verwirrten. Hatte das Wetter zu ertragen und das Elend, die Erschöpfung und vor allem die Sorgen.
Hill sah wieder nach Glenlyon, der gerade einem schmächtigen Mann von noch nicht zwanzig den Stock vor die Brust schlug. Mit seiner Härte versuchte er verzweifelt, sich die Männer gefügig zu machen, aber er bot ihnen nichts, an dem sie sich aufrichten, ja das sie lieben konnten, wie es ein großer Befehlshaber vermochte. Hill sorgte sich um Glenlyon, weil unerklärlich war, warum Argyll – alles andere als ein talentloser Heerführer – einem solchen Mann eine Kompanie übergab, warum Breadalbane und selbst der heikle Dalrymple sich dieser Entscheidung fügten. Er hatte das kurze Gespräch nie vergessen, das die drei in seiner Gegenwart geführt hatten und in dem Argyll bekundet hatte, er halte an Glenlyon fest, eben
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