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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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der darauf wartete, dass sein Vater für ihn einsprang? Was heißt das denn, Ranald, ein Mann zu sein? Söhne aufzuziehen und Väter zu begraben, hast du gesagt, aber wie soll einer beides gleichzeitig tun?
    Der Alte stöhnte und sah zu ihm auf. Offenbar hatte ersich verrechnet, sich mit den zwei Worten übernommen und hatte jetzt keines mehr, doch der MacIain verstand ihn auch so. »Musst keine Sorge haben«, krächzte er und begann dabei zu heulen. »Ich bring dich nach Glencoe und begrab dich auf der Eilean Munde, Ranald. Hab’s dir doch gelobt.«
    Ranald versuchte den Kopf zu schütteln, aber der MacIain hielt ihn fest. »Hab’s dir doch gelobt«, wiederholte er. Zugleich beschloss er, den Toten, wenn es erst so weit war, mit sich nach Inverlochy zu schleppen. Es konnte Ranald schließlich kaum kratzen, der war immer mit Vergnügen gereist.
    Der MacIain wollte nicht daran denken, nicht planen, wie er einen Leichnam auf den Sattel verlud, während der Sterbende in seinem Schoß noch schnaufte. Er wollte etwas sagen, sich bedanken, wenn nötig auch um Vergebung bitten. Damals in Coire Gabhail. Du hast mir nie gesagt, was du dachtest, sondern hingenommen, was ich tat. Muss ich froh sein, dass ich nicht weiß, was du gedacht hast? Weil sich das alles nicht aussprechen ließ und er nicht aufhören konnte, an Sandy Og zu denken, zog er schließlich den Tabak aus seiner Tasche und stopfte dem Alten eine Pfeife. Er musste sie selbst rauchen, aber er hielt sie Ranald vor die Nase, damit der sich satt riechen konnte.
    Ranalds Sterben dauerte bis zum Morgen. Der MacIain war so steif gefroren, dass er endlos brauchte, um sich aufzurappeln, Ranalds Pferd die Leiche auf den Rücken zu hieven und sie mit seinem gelben Mantel zuzudecken. Dann ritt er weiter, kroch mit dem Totenpferd über Stock und Stein und durch den immer noch peitschenden Regen. »Hab’s dir doch gelobt«, murmelte er vor sich hin, sooft er die Führleine fahren lassen und dem Grauen die Sporen geben wollte. »Ich mag ja ein Satan vor dem Herrn sein, aber immerhin einer, der zu seinem Wort steht.«

    Schlimm war, dass er nie ahnte, wann etwas geschah. Manchmal ließen sie ihn über etliche Stunden lang in Ruhe, die er hätte nutzen sollen, um Kräfte zu sammeln. Die unlenkbare Masse, zu der Sandy Ogs Körper geworden war, gönnte ihm jedoch keine Erholung, sondern blieb geduckt und angespannt und wartete auf eine Bewegung von der Tür.
    Schlimm war auch, dass ihm der Schmerz nie erlaubte, sich von der Masse zu trennen. Sooft Sandy Og versuchte, sich auszumalen, wie er sich aus der Masse befreite, rief ihn der Schmerz in sie zurück. Der Schmerz war überall; keine Stelle blieb verschont, unangetastet. Am meisten quälte ihn der Schmerz im Nacken.
    Sandy Og bemühte sich, den Nacken zu entspannen, den Kopf gerade zu rücken, ihn nicht ständig in Richtung Tür zu recken, als könne das nicht mehr brauchbare Ohr etwas anderes vernehmen als den pfeifenden Ton. Dabei verriet ihm auch jetzt kein Geräusch, sondern ein Licht, dass die Tür sich öffnete. Es war Nacht, und sein Besucher trug ein blakendes Talglicht in der Hand. Sandy Og duckte sich. Der Schmerz schoss ihm vom Nacken in den Kopf. »Guten Abend«, sagte Rob Glenlyon.
    Sandy Og murmelte hastig eine Antwort, doch es nützte nichts.
    Glenlyon trat ihn. »Stehst du nicht auf, wenn ich mit dir rede?«
    Sandy Og mühte sich, seinen Körper in die Höhe zu stemmen, scheiterte aber, fiel zurück und hob die Arme vors Gesicht. Glenlyon griff ihm ins Haar, riss ihm den Kopf aus dem Schutz der Arme, verzog den Mund und holte aus. Das Pfeifen in Sandy Ogs Ohr wurde schrill. Er kniff die Augen zu und biss die Lippen aufeinander. Jeder andere hätte sich längst daran gewöhnt, sich abgehärtet, wie der MacIain sagte. Sandy Og hingegen wurde immer schlaffer. Bald würde ein Fingerschnippen genügen, damit er wie ein Sack zur Seite kippte.
    Erst nach einer Ewigkeit, in der er wünschte, er hätte denersten Schlag schon hinter sich, begriff er, dass der Schlag nicht kam. »Meiner Treu, nun heul nicht. Deine Maulschellen erlass ich dir heute, ich habe etwas Feineres für dich.« Glenlyon nahm Sandy Ogs Ohrläppchen zwischen die Finger und zog daran seinen Kopf in die Höhe. Sandy Og schrie.
    Als vom Schreien nur noch das Echo übrig war und vom Schmerz nicht so viel, dass er weiterschreien musste, sagte Glenlyon: »Ich brauche Zeit, verstehst du? Um zu bedenken, was du verdient hast. Ich denke, ich werde die Nacht

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