Glencoe - Historischer Roman
stehen. Licht fiel herein und ein wenig Regen, und auf einmal befiel Sandy Og Angst. Er wich zurück und fühlte, wie Nacken, Schultern und Rücken sich versteiften. Jeden Schritt musste er sich abzwingen wie einem Bock, der nicht in den Pferch wollte. Er allerdings wollte aus dem Pferch nicht hinaus, wagte sich nicht unter Menschen, umso weniger, als eines seiner Ohren ihn nicht rechtzeitig warnen würde. Sag Nein, sprach er sich vor. Achte auf keinen, geh an allen vorbei aus dem Tor. Er schob die Tür ganz auf, sah in das Licht, das ihm trotz des verhangenen Himmels gleißend erschien, sah Menschen über den Appellplatz laufen und spürte, wie schwach seine Beine waren, wie ihm Fesseln, Knie und Hüften schmerzten. Der Wunsch, zurück ins Dunkel zu flüchten und die Tür zu schließen, war übermächtig.
Ich habe es satt, dass ein jeder mich stößt, wohin er mich haben will! Gestern soll ich sterben und heute auf meinen zwei Beinen hinausspazieren, ich spiele euer Spiel nicht mehr mit und fange nur noch an, was ich will.
Dann fiel ihm ein, was er wollte. Und er ging weiter.
Aus der Tür der zweiten Baracke strömten die Männer von Appin, allen voran der junge Robert. Den hielt keine Verzagtheit zurück, er rannte mit aller Lebenskraft und allem Mut über den Platz. Am anderen Ende brüllte ein Mann seine Freude heraus und rannte ebenfalls los: der kleine Ardshiel, der seinen Robert, seinen Ziehsohn, in die Arme zog und diesen baumlangen Burschen wie einen Knaben herzte. Das Lachen der beiden erhellte die Regenluft.
Wieder blieb Sandy Og stehen. Er senkte den Blick in eine Pfütze und sah im spiegelnden Schwarz doch die zwei, die einander in den Armen hielten, hörte ihr Freudengebrüll und krümmte den Rücken, weil der Schmerz ihm durch Brust und Bauch pflügte. Geh an allem vorbei, lass das hinter dir! Robert und Ardshiel heulten vor Glück und schämten sich nicht, Sandy Og aber schämte sich, weil er erbärmlicher schlich als ein verprügelter Köter, weil er einem andern, einem blutjungen Mann, der sein Freund sein wollte, das bisschen väterliche Zuwendung missgönnte.
Mit kraftloser Stimme schrie Colonel Hill über den Platz, schrie etwas von der Milde der Königin und dem Dank, der ihr dafür geschuldet war. Vermutlich hätte er die Gefangenen gerne noch einmal vor sich aufgestellt und mit einer Predigt auf den Weg gesendet, aber niemand hörte ihm zu. Als Sandy Og sich an ihm vorbeischleppte, unterbrach der Gouverneur seine sinnlose Rede und stürzte ihm hinterher. »Herr Alasdair Og? Bleibt doch stehen! Ergeht es Euch nicht wohl?«
Sandy Ogs Rücken straffte sich. Seine Schultern zuckten. »Trefflich«, sagte er.
»Wahrhaftig? Es gibt nichts, das wir für Euch tun können?«
»Doch.« Sandy Og sprach auf ihn hinunter. Mit jedem der glatten Worte wuchs eine Schale um ihn, durch die nichts mehr drang. »Robert Glenlyon hat mir ein Pferd erschossen, an demer kein Recht hatte. Ich ersuche Euch, mir ein neues zu beschaffen.«
»Nun«, wand sich Hill und tat Sandy Og leid. »Zu meinem Bedauern habe ich nur wenige Pferde auf der Garnison.«
»Das soll mich nicht kümmern. Zu meinem Bedauern hatte ich nur eines.«
Hill nickte hastig. »Ich werde mein Möglichstes tun.«
In seiner Schale ging Sandy Og weiter, vorbei an Männern, die in Trauben zusammenstanden und ihrer Freude Luft machten. Er ging schnurstracks dem Tor entgegen, bis er in seinem heilen Ohr die Stimme hörte.
»Dem Himmel sei Dank, Freundchen. Ich dachte schon, dich rückt der Sassenach uns nicht mehr raus.«
Weshalb sagen wir das immer: der Sassenach? Die Männer auf dieser Garnison sind samt und sonders Schotten, der einzige Sassenach ist Hill, ein alter Mann, dem die Zähne klappern.
Lochiel hatte sein Gefolge am Torhaus stehen lassen und kam mit langen Schritten auf Sandy Og zu. Als der alte Chief die Hand nach seiner Schulter streckte, schrak er zurück.
»Oh.« Lochiel hob die Brauen. »Ist alles in Ordnung?«
»Trefflich«, sagte Sandy Og und drängte an ihm vorbei. Dass er wegen des Pferdes auf Hill warten musste, fiel ihm ein, aber stillhalten konnte er nicht.
Lochiel vertrat ihm den Weg. »Nicht ganz so eilig, mein Herr. Da komme ich eigens aus Achnacarry, um dich zu empfangen, und so eine Ungezogenheit ist der Dank dafür?«
Sandy Og ballte die Fäuste. »Danke«, presste er zwischen den Zähnen heraus und starrte wieder in eine Pfütze, was seinen brennenden Augen wohltat. Den Schatten sah er dennoch auf sein
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