Glencoe - Historischer Roman
ihn, viel böser als du, alles Erinnern wollt ich aus ihm herausdreschen, und dabei hab ich gebrüllt: ›Du gehst mit keinem mehr mit, und wenn ich dich dumm schlagen muss! Du bleibst hier bei mir sitzen, und keiner legt Hand an dich.‹ Nur sicher hinter meiner Tür wollte ich ihn, weg von alledem. Ich bin’s, die nichts aushält, nicht Sandy Og. Ich bin’s, die’s beim Teufel nicht aushält, wenn einer ihr Kind ersäuft!«
Nein, liebstes Herz, du bist es auch nicht. Der, der nichts aushält, bin ich. Ich halt das alles nicht aus.
»Du hast ihn mir wieder weggenommen.« Morag weinte zwischen den Worten lauter und bekam schwieriger Luft. »›Deine Mutter muss sich ja schämen‹, hast du zu ihm gesagt, also hab ich’s ihm auch gesagt: ›Als deine Mutter muss ich mich schämen‹, aber bei mir hab ich gedacht: ›Nur zu. Soll sich schämen, wer will. Ich hab dieses Menschenkind in die Welt gebracht, dessen schäm ich mich nicht, und wer feinere Kinder als meinen missratenen Jungen hat, soll sie mit meinem Segen behalten.‹«
Weil er ihr grausiges Japsen nicht mehr aushielt, zog der MacIain sie an sich und hielt ihr den Mund zu. »Mit meinem Segen auch«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Unsern missratenen Jungen hol ich uns zurück, einen andern will ich nicht. Übrigens war Sandy Og schon vor dem Unglück nicht richtig im Kopf und hat zu nichts getaugt. Er war schon immer so. Wenn dieihn mir rausgeben, wenn ich ihn wiederhaben darf, soll er in Gottes Namen so sein.«
»Und was tust du dann?« Sie befreite sich. »Schickst du ihn wieder in einen Kampf ohne Aussicht, bis ihn endlich eine Kugel zerfetzt und wir unser Soll für Jamie Stuart erfüllt haben? Lass ihn doch jetzt sterben, Alasdair, bevor er mir toll wird vor Angst. Lass meinen armen kleinen Sohn doch sterben.«
Er zog sie wieder an sich, ließ sie sich nicht entwinden und streichelte ihr das Haar. Irgendwann sprach sie an seiner Schulter weiter. »In der ersten Nacht hat’s mir wegen Gormal alles zerrissen, schließlich hast du mir gesagt, an die Söhne soll ich mein Herz nicht hängen, aber die Töchter lässt du mir, und dann hast du mir meinen Sohn und meine Tochter am selben Tag genommen. Meine Gormal, mein armes tapferes Mädchen … Aber am Morgen hab ich gedacht: ›Vielleicht ist Gormal jetzt besser dran. Die hat’s hinter sich. Hat ihre Kinder verloren, hat ihr Heim verloren, was soll die jetzt noch fürchten?‹« Dann sagte sie endlich nichts mehr. Der MacIain atmete auf. Noch einen Augenblick länger und ich hätte sie anbetteln müssen, dass sie mich schont, weil ich mehr nicht ausgehalten hätte.
In seinen Armen entspannte sich ihr Körper. Am Luftzug bemerkte er, dass die Tür in seinem Rücken sich geöffnet hatte, und am Schlurfen hörte er, dass Ranald eingetreten war. Ohnehin hätte kein anderer als sein Barde das Recht gehabt, ihn hier zu stören.
»Mein Herr«, sagte der unverwüstliche Gefährte, »wenn Ihr auf die Schwarze Garnison geht, komme ich mit Euch.«
Behutsam bettete der MacIain seine Frau wieder auf das Laken, das er über dem dichten Heidepolster glatt zog. »Lass unsere Pferde aufs Joch holen«, sagte er so leise zu Ranald, als sei Morag eingeschlafen. Die aber sah ihn mit weit geöffneten Augen an.
Er küsste ihr Wangen, Stirn und Mund, alles einzeln und mit Bedacht.
»Alasdair«, sagte sie. »Tust du mir eine Liebe?«
»Jede.«
»Hill ist ja der Knecht vom Willie, der kann dir Sandy Og nicht rausgeben. Willst du ihm das Silber zahlen, damit er Sandy Og sagt, dass du dort gewesen bist? Dass du ihn holen wolltest?«
Der MacIain rieb sich die Stirn, dann die Schläfen. Auf beidem war Schweiß erkaltet, und unter der Schädeldecke pochte Schmerz. »Ja, ja«, sagte er. »Ja, meine Liebste. Und du hütest John und Ceana und die Enkel.«
Er stand auf, um zu gehen, nur einen Blick lang blieb er noch bei ihr.
Mit Ranald konnte der MacIain nur langsam reiten. Auch fürchtete er, dass Ranald beginnen würde zu reden, weshalb er ihm mehrmals eine Pfeife anbot. Der Barde aber lehnte jedes Mal ab. Dennoch war der MacIain froh über die Nähe eines Artgenossen, dem er nichts vorzumachen brauchte, weil er ihm nichts vormachen konnte.
Sie nahmen die Route übers Moor bei Ballachullish. Vielleicht noch drei, vier Wochen lang würde dieser Weg passierbar sein, dann schloss der Winter Glencoes Türen. Dem MacIain hatte es vor der langen Zeit der kurzen Tage stets gegraut, jetzt aber ertappte er sich dabei, dass er sich
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