Glencoe - Historischer Roman
darauf freute. Wie Morag ging es ihm: Er wollte nur seinen Sohn sicher in seinem Tal haben und die Türen verschließen, ihn mit warmer Gerste füttern und ihm die Leviten lesen: Verfluchter Teufelskuss, dass dein Vater ein Narr ist, der glaubt, er hält’s aus, wenn du stirbst, ist schlimm genug. Aber wie kannst denn du solch ein Narr sein, wo selbst Lochiel sagt, du hättest Grütze im Kopf? Komm du mir nur in die Finger, du Grützkopf, du Schulterzucker! Ich werde dich lehren, so lang und so stolz, wie du bist, dass man seinen alten Narren von Vater nicht derart in Schrecken versetzt und ihm das Herz nicht bricht.
An seine Tochter dachte er nicht. An Gormal zu denkenwäre gewesen, wie an den großen Mann von Ballachullish zu denken oder an den Tod. Nur einmal dachte er einen Herzschlag lang: Ben weiß ja, dass in Coire Gabhail das Haus steht. Der ist nicht ungeschickt, der kann das Haus ja herrichten.
Den Tag über war die Luft sehr kalt, aber auch sehr klar gewesen. Doch nun, wo es dämmerte, bezog der gerade noch blaue Himmel sich schnell. Der MacIain sah sich um – weit und breit keine Baumgruppe, kein möglicher Unterschlupf. Ihnen blieb nichts übrig, als weiterzureiten und darauf zu hoffen, dass Wind und Regen, die aus dem Nichts einsetzten, es nicht allzu toll treiben würden.
Die Hoffnung zerschlug sich. Ein paar Schritte weit ließen sich die Pferde noch gegen den Wind zwingen, der ihnen den schwellenden Regen entgegenblies, als wolle er den klapprigen Ranald aus dem Sattel schleudern. Dann ging der Regen in Hagel über, der den Männern in die Gesichter trommelte. Der MacIain ließ dem Grauen die Zügel schießen, und der tat, was einem Gaul zu tun blieb: Er drehte dem Wind den Hintern zu, krümmte den Rücken und duckte den Kopf. Ranalds Mähre tat dasselbe. Wie leicht so ein Pferdeleben war, wie leicht eine Pferdeentscheidung! Der MacIain beugte sich auf den Hals des Tieres und vergrub das Gesicht, so gut es ging, in der Mähne. So warteten sie ab, bis der Hagelsturm seine Kräfte verausgabt hatte, dünner wurde und sich schlafen legte. Übrig blieben nur ein dünner Regen und Wind, der das nasse Gras knistern ließ.
Der MacIain rieb sich den triefenden Rücken. »Mein Buckel fühlt sich an wie verdroschen«, brummte er. »Machen wir, dass wir weiterkommen?« Er hatte vor, durch die Nacht zu reiten, und betete innerlich, dass er Ranald so viel zumuten durfte.
»Bedaure«, vernahm er den Barden. »Ich komm nicht mehr weiter.« Ranalds Stimme war seit Langem brüchig wie altes Glas gewesen, aber er hatte noch damit gesungen, geschwatzt und geschimpft. Jetzt war daraus eine Stimme geworden, der die Worte ausgingen, der ein jedes schon gezählt war.
Der MacIain gab sich keiner eitlen Hoffnung hin – man lebte nicht sechzig Jahre, ohne zu lernen, wie das Ende klang –, aber dennoch entfuhr ihm ein Schreckensruf: »Nein, Ranald, gerade jetzt?« Und der arme Ranald musste zwei weitere Worte ausgeben, um »Ich fürchte« zu antworten.
Es war sinnlos, sich zu sträuben. Es war auch sinnlos, den Barden anzuflehen – kein Mensch flehte schließlich Lawinen an, und kein Gaul galoppierte gegen Hagelstürme. Der MacIain stieg ab. Er schüttelte eine Faust gen Himmel, weil sein besoffener Priester einmal behauptet hatte, das sei hilfreich, aber es half überhaupt nicht. Er musste sich fügen, musste diesen grandios schlechten Witz schlucken, den sich irgendwer auf seine Kosten leistete, und sich beeilen, damit sein alter Gefährte nicht in den Schlamm rutschte. Im letzten Augenblick fing er ihn in den Armen auf. »Ist ja gut, Ranald«, sagte er, obgleich Ranald noch lange kein Idiot war, nur weil er starb, und genau wie der MacIain wusste, dass gar nichts gut war.
Er trug den Barden ein paar Schritt weit auf eine bewachsene Erhöhung, setzte sich hin und zog seinen Kopf auf seine Schenkel. Da saß er nun, in den Armen den Mann, der ihn nach dem Tod seines Vaters auf den Cairn geführt hatte. Er nahm Ranalds Hand, eine gefrorene, vertrocknete Pflaume, die letzte Hand, an der er als Knabe gegangen war, von der er eine Kopfnuss verpasst und eine Süßigkeit in den Mund gesteckt bekommen hatte. Es war sonderlich, als verlöre man mit mehr als sechzig Jahren auf dem Buckel das Kind in sich.
Der MacIain wollte ganz bei Ranald sein, ihm in den paar Augenblicken alles vergelten. Aber wie konnte er das? Wie konnte er an etwas anderes denken als an den Sohn, den sie in Hills Gefängnis quälten, seinen Sohn,
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