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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Mutter.«
    Sie errötete. Bis zu den Wurzeln ihres pfeffergrauen Schopfes. »Was soll der Unsinn?«
    »Hast du den Eichhörnchen nie zugesehen? Sie vergraben eine Nuss, um zu überleben, und dann vergessen sie, wo sie sie vergraben haben, und graben hier und da und irren sich und graben woanders.«
    »Bei dir hat’s schon immer im Kopf nicht gestimmt.«
    »Ich weiß«, sagte er und küsste sie wieder. »Ich hab dich auch lieb, Mutter. Und jetzt muss ich zum Vater.«
    Aus dem Herrenzimmer seines Vaters kam ihm John entgegen. »Du?«, brach es aus ihm heraus. »Heute?«
    »Ja. Und aus dem Grund, den du befürchtest.«
    John packte ihn am Hemd, ließ den klatschnassen Stoff aber gleich wieder los. »Du darfst nicht. Hörst du? Ich bin dein älterer Bruder, und in dieser Sache wirst du einmal tun, was ich dir sage.«
    »Hab ich das nicht immer getan?«
    »Nein, nie. Troll dich nach Hause! Diese Sache geht dich nichts an, die entscheiden Vater und ich für den Clan.« Er unterbrach sich. »Du traust es mir nicht zu, nicht wahr? Du und Vater … Wenn ihr euch auch sonst in der Luft zerreißen wollt, das ist euch beiden gemein: Ihr denkt, der John, der ist nicht Manns genug. Dem müssen wir’s abnehmen.«
    So tief verletzt wie John konnte nicht einmal Duncan solche Worte aussprechen. Und wie bei Duncan fühlte Sandy Og sich gänzlich hilflos; er legte dem Bruder den Arm um die Schultern, weil ihm sonst nichts einfiel, und wusste, dass das nicht half. »Lass es mich dir abnehmen, bitte. Nicht, weil ich es dir nicht zutraue, sondern weil es mir nichts ausmacht.«
    »Was macht dir nichts aus? Den Eid zu schwören, Sandy Og? Den Verrätereid? Das wird kein Mann aus Glencoe tun, schon gar nicht mein Bruder, und wenn ich dir mit meinen eigenen Händen den Hals umdrehen muss.«
    »Reiß nicht den Mund auf, John«, sagte Sandy Og, ohne den Arm zurückzuziehen. »Du drehst mir nicht den Hals um, und prügeln können wir uns hinterher. Jetzt lass mich mit dem Vater sprechen.«
    John richtete sich auf wie ein wütender Hahn. Doch ehe noch etwas geschehen konnte, trat ihr Vater aus der Tür. »John? Sandy Og? Balgt ihr euch mal wieder wie Rotzjungen, denen der Stecken nottut?«
    Seit Samhain hatte Sandy Og ihn nicht gesehen, vielleicht die längste Zeit in seinem Leben. Sein Vater war immer da gewesen und hatte immer gleich ausgesehen. Dass sein Haar weiß und seine Haut fleckig geworden war, hatte Sandy Og nicht bemerkt. Er fand den Vater schön: ein weißhaariger Kerl, der mit seinem Mantel einen Toten zugedeckt hatte; ein alter Mann, der jetzt vollends blind im Kreis lief und sich doch weigerte abzutreten, weil seine Söhne zu zweit den Platz nicht füllten, den er einnahm, der MacIain von Glencoe. Selbstsüchtig wie ein Kind, töricht wie ein Jüngling und vernagelt wie ein Greis. Etwas schnürte Sandy Og die Kehle ab.
    »Erquicklichen Morgen, Fremder«, sagte der MacIain.
    »Guten Morgen«, murmelte Sandy Og.
    »Und dir, John, hab ich gesagt, du sollst machen, dass du zu deiner Familie kommst. Jetzt schneit’s gar zu toll, um einen Hund vors Haus zu jagen, also troll dich zu deiner Mutter, diesoll dir Grütze geben und die Leviten lesen. Der Chief dieses Clans bin noch immer ich, auch wenn die Murmeltiere den Aufstand proben. Und ich bleib’s, bis ich sterbe, ob es euch schmeckt oder nicht. Aus dem Weg mit dir. Ich hab mit deinem Bruder zu sprechen.«
    »Aber er will, dass du den Eid schwörst, dass du uns alle zu Verrätern machst!«
    »Mich macht keiner zu gar nichts«, erwiderte der MacIain. »Du hast mich gehört, John.«
    John warf Sandy Og noch einen Blick zu, in dem so viel Drohen wie Flehen lag, dann drehte er sich um und ging.
    »Und nun zu uns«, sagte der MacIain und wies durch den Türspalt in den Raum.
    Sandy Og senkte den Kopf und trat ein. Hinter dem breiten Schreibtisch, den sein Vater, soweit sich Sandy Og besann, nie zum Schreiben benutzt hatte, setzte er sich in seinen Stuhl. Sandy Og blieb linkisch davor stehen, wie als Knabe, wenn ihm eine Abreibung blühte, tropfte aus jedem Zipfel und hasste den Augenblick. Der jedoch war gleich darauf vorüber. In seinem Ohr war nur das Pfeifen, an das er sich zu gewöhnen begann, kein Rauschen.
    »So oft oder besser so selten du letzthin hier warst, hast du mir den Boden nass gemacht wie der Wassermann vom Loch Leven«, sagte sein Vater. »Ich nehme nicht an, dass du dich abtrocknen willst?«
    »Nein.«
    »Also dann. Heraus damit.« Die Braue des MacIain senkte sich,

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