Glencoe - Historischer Roman
Wetter wohl aufgehalten hat.«
Sandy Og trat steif vor den Offizier, nahm ihm die Papiere ab und reichte sie John, der sie widerstrebend aufrollte. Den Kindern wurde das Palavern zu lang, sie begannen, mit ihren Stöcken zu fechten, und die frierenden Männer traten von einem Fuß auf den anderen. Jean verlor ebenfalls die Geduld, versuchte, aus dem Tuch zu klettern, und begann zu greinen, als Sarah sie daran hinderte und ihr auch noch eine der Pistolen entriss.
John sah auf seinen Bruder hinunter und kämpfte sichtlich mit sich. Schließlich hielt er ihm den aufgerollten Bogen hin – zweifellos die Quartieranweisung – und beugte sich vornüber, sodass sie gemeinsam lesen und sich beraten konnten.
»Ihr seid in Glencoe willkommen!«, rief er endlich und richtete sich im Sattel auf. »Wir werden Eure Männer zu zweit oder dritt auf die Häuser verteilen müssen, aber für alle wird gesorgt sein. Ihr selbst und Eure Offiziere folgt mir nach Carnoch, wo mein Vater Euch begrüßen wird.«
Auch ohne den Befehl der Garnison hätte John schwerlich eine andere Entscheidung treffen können. Einem Mann, der als Gast, ohne feindliche Absicht kam, verweigerte kein Hochländer sein Haus. Hatten die Gäste das Brot und das Salz ihres Gastgebers geteilt, so waren sie zu Freunden geworden, von denen nichts zu befürchten war.
Schwerfällig hob Sandy Og den Kopf und zog sich das Bonnet herunter. »Ihr seid auch in meinem und Eurer Nichte Haus willkommen, wenn Ihr es vorzieht«, sagte er. Es befremdete Sarah, dass Sandy Og, der Mann, der mit ihr alberte und girrte, der ihr zärtlich Unsinn in die Ohren flüsterte und Jean die Zeilen von Kinderliedern aufsagte, so geschliffen zu sprechen vermochte.
»Euch beiden meinen Dank«, rief der Onkel. Dann setzte sich der Zug nach gebrüllten englischen Kommandos und unter Getrommel in Richtung Carnoch in Bewegung. Sandy Og kam zu Sarah zurück, stieg aber nicht wieder auf, sondern führte das Pony am Zügel und drehte sich nicht nach ihr um, als habe er Grund, ihr zu grollen.
Das Lachen verging ihr. Etwas war ganz und gar nicht im Lot, und als sie über die weiße Fläche der verschneiten Ebene und die Tupfer der Dächer blickte, kam es ihr vor, als könne sie unter all der Stille ein Lauern spüren.
Sandy Og wies sie knapp an, die Kammer der Jungen freizuräumen und ein Nachtmahl für mehrere Gäste zu richten, überließ ihr das Pony und blieb mit den Männern in Carnoch. In der Siedlung herrschte helle Aufregung, der übliche Hühnerhaufen umeinanderwimmelnder Frauen und Kinder, in dem jeder sich rühmte, von allem zu wissen, aber niemand ahnte, was es zu wissen gab. Sarah versuchte, ihre Arbeit zu tun, gab sich Mühe mit dem Essen – Schmortopf vom Hasen und von ihren letzten Zwiebeln –, fegte ihr Haus aus, doch die Unruhe blieb.
Abends, gerade als die Jungen, nass vom Schnee und übersprudelnd von Geschichten, ins Haus gestürmt waren, kam Sandy Og mit zwei Gefreiten in seinem Alter, zwei Brüdern, die er als Don und Malcolm MacClewan vorstellte. Sie waren Hochländer, sprachen gälisch und bedankten sich wie wohlerzogene Söhne in jedem dritten Atemzug für die Bewirtung –nette Kerle, deren Mütter und Weiber, die sie vermissten, Sarah im Geiste vor sich sah.
Der Abend verlief ganz anders als erwartet. Angus und Duncan, so entschlossen sie waren, die williamitischen Soldaten mit Verachtung zu strafen, schmolzen wie Schnee, sobald sie sich an Malcolms Bajonett probieren durften. Der Gefreite ging mit ihnen sogar hinaus in die Nacht, um ein paar Schüsse zu feuern, was die Nachtwache der Grenadiere und die gesamte Nachbarschaft aufschreckte. Die Schüsseln wurden bis zum letzten Tropfen geleert, die Hausfrau mit Lob überschüttet, wobei Don, der Jüngere, errötete, und ihr Holunderwein, für den sie sich ein wenig schämte, füllte einen Becher nach dem anderen. Später fragte Don, ob er singen dürfe, und dann sangen sie die vielen Lieder, die in jedem Tal bekannt waren, und Sandy Og schaukelte Jean im Takt auf seinen Knien. Er schien wieder er selbst zu sein, und sie mochte ihn in der Rolle, in der sie ihn noch nicht kannte – als Gastgeber, der im Auge behielt, ob seine Gäste zu trinken hatten, ob das Feuer hoch genug geschürt war, ob Kerzen und Hammelfettlampen herunterbrannten.
»Ihr seid zu beneiden«, sagte Malcolm zu Sandy Og, als die beiden ihnen schließlich Gute Nacht wünschten, »die Frau, das Haus, die Kinder – welcher Mann wäre darauf nicht
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