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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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war mehr geschwebt als geschritten und geblieben. Er hatte ihr alles erzählt. Von Meggernie. Von Helen. Von Argyll und Breadalbane und geheimen Papieren mit verlaufenden Schriftzügen, von dem Überfall und dem Tag, an dem er sich verkauft hatte, vom Schlimmsten. Und sie lag immer noch bei ihm und hielt seinen Kopf, gab ihm zu trinken. Er wollte ihr sagen, dass er Befehle aus Fort William erwartete, die ihm das Höllenfeuer brachten, die ewige Glut der Verdammnis. Wenn er es ihr sagte, wenn er aussprach, was er nicht einmal stumm in Worte fasste, wäre er dann in Sicherheit? Wäre es dann unmöglich, aus den Worten Taten zu machen?
    Ich bin ja krank. Ich werde gesandt, um Glengarry zu entwaffnen, daran ist nichts zu fürchten. Selbst wenn es einen solchen Plan gegeben hätte, wie mein kranker Geist ihn sich erspinnt, er wäre doch an dem alten Hill gescheitert. Die haben ihn ausgebootet, ihm diesen Hamilton ins Nest gesetzt, um hinter seinem Rücken zu mauscheln, Dalrymple, der immerfort Briefe an Argyll schreibt, und all die Drummonds und Duncansons, die ihn zwischen die Hinterbacken küssen. Aber Hill ist noch immer Gouverneur von Lochaber; sie können den Befehl nicht ohne seine Unterschrift siegeln, und Hill würde seine Unterschrift unter diesen Befehl nie im Leben setzen. Hill war immer gut zu mir. Er weiß, dass ich nichts tun könnte, als ihn zu befolgen, wenn der Befehl käme, und er würde mich nicht in eine so erbarmungslose Zwinge treiben.
    Es gab keinen Mordbefehl. Er fror so erbärmlich, und doch lief ihm Schweiß von der Stirn; er musste Fieber haben, gewiss war es der Fieberwahn, der ihm diese Bilder von Blut und Gemetzel eingab. An den schlanken Armen des Mädchens klammerte er sich fest. »Du verlässt mich nicht, nicht wahr, meinEngel? Alle haben immer nur von mir gefordert, und wenn ich nicht aufbrachte, was sie forderten, haben sie sich von mir abgewandt – meine eigene Frau, meine Kinder, mein Vetter, sogar meine Mutter, die mich geboren hat. Aber du wendest dich nicht von mir ab. Du forderst nichts.«
    Sie befreite sich sachte, nahm den Krug vom Nachtkasten und hielt ihm beim Trinken den Kopf. Flüchtig kam es ihm vor, als schiene in dieser Nacht der Mond ins Fenster und werfe ein weißes Licht auf ihr Gesicht, doch in Wahrheit kam das Licht von der Kerze, der Himmel war verhangen und der Mond seit Tagen nicht zu sehen. Die Krummrückige sagte neue Stürme voraus. Auf einmal erinnerte er sich an den Frühlingsabend, als er den Mond über Glencoe hatte aufgehen sehen, und der Gedanke an die Hoffnung, die es damals noch gegeben hatte und die jetzt begraben war, jagte neue Wogen durch seinen Leib.
    Sein Engel streichelte ihn. Er war kein schlechter Mann, nur ein verzweifelter, sonst würde ihn kein Engel streicheln. »Nein«, sagte sie mit ihrer süßen Stimme. »Ich fordere nichts. Du wirst mir geben, was du selbst willst.«
    In der Frühe, wenn er mit dröhnendem Schädel und ausgedörrtem Gaumen erwachte, war ihm bei dem Gedanken an die Nächte ein wenig unbehaglich. Das Mädchen stahl sich immer hinaus, sobald er eingeschlafen war; nie sah er sie gehen, und auch seine Gastgeber, die in der Stube mit Kelle und Kessel klapperten, schienen nichts zu bemerken.
    Er hätte ihr Fragen stellen sollen: Warum lebst du im Haus eines Tacksman, nicht mehr bei deinem Vater oder einem deiner Brüder? Warum schleichst du ins Bett eines Fremden? Was stimmt nicht mit dir? Jeden Morgen, wenn er sich aus den Decken quälte, im Rauch des Torffeuers husten musste und dabei Gift und Galle würgte, nahm er sich vor, sie in der kommenden Nacht zu fragen. Aber bis es Nacht wurde, hatte er sich die Angst vor Drummonds Ankunft einen weiteren Tag lang mit Lachen und Lärmen und etlichen Bechern erleichtert und war so unsäglichfroh, wenn sie zu ihm kam, dass er die Fragen vergaß. Sie war sein Engel. Sie entstammte nicht der Wirklichkeit. Er hatte andere Sorgen, als die einzige Gnade anzuzweifeln, die ihm zuteilwurde.
    An diesem Morgen, an dem man im pfeifenden Wind kaum ein Wort verstand, verdichtete sich die Bewölkung, aus Grau wurde Schwefelgelb, und dann platzte der Himmel. So wütend tobte der Sturm, so undurchdringlich wirbelten die Flocken, dass Rob den Drill seiner Truppe abbrechen musste. Alles floh in die Häuser, drängte sich um die Feuer zusammen. Die Stube der Inverrigans war mit Rauch gefüllt, der die Augen tränen machte, zugleich aber barg und einhüllte. Als Rob sich ein wenig aufgewärmt und sich

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