Glencoe - Historischer Roman
gelassen. »Kann der Kerl etwa lesen?«
Der wütende Breadalbane schüttelte den Kopf, und sein Neffe wies ihn mit einem Nicken aus dem Raum. Dann straffte er sich, glättete Rob das Revers und schob sich einen der Bögen in den Brustaufschlag. »Ehe ich es vergesse, mein Freund.« Erlächelte. »Was Eure kleine Verlegenheit betrifft, so helfe ich Euch gerne aus. Es wäre mir eine Ehre, einer jungen Mädchenblüte meines Clans die Hochzeit auszurichten. Und falls Ihr gelegentlich Eure Nichte Sarah besucht, so entrichtet ihr meinen Gruß.«
Die Vögel erwachten vor dem Tag. Auch Sandy Og war längst wach. Seinem Gefühl zufolge hatte er überhaupt nicht geschlafen, sondern dösend gelegen, auf das Knistern des Heidekrauts in seinem Rücken gelauscht und abwechselnd in die Flamme der Kerze und an die verrußte Decke des Hauses gestarrt. Er selbst hatte dieses Dach gebaut, ehe er sich seine Frau ins Tal holte. Es war üblich, dass die Nachbarn beim Hausbau halfen, wenn ein Mann heiraten wollte, und bei einem Sohn des MacIain half das ganze Dorf. Sandy Og aber hatte allein für sein Dach sorgen wollen.
Es war wichtig, die Pfähle und Latten mit äußerster Sorgfalt zu feilen, bis sie sich so aneinanderschmiegten, dass kein Regen hindurchdrang, der sich mit Ruß gemischt und die Bewohner in schwarzer Tunke gebadet hätte. Zuletzt wurde das Dach mit Reet gedeckt, um es abzudichten, wenn auch nicht so dicht, dass der Rauch des Feuers keinen Weg nach draußen fand. Das war eine Kunst, eine Gratwanderung. John hatte den Kopf geschüttelt und Sandy Og gefragt: »Warum lässt du es nicht mich und den Schwager tun? Du bist nicht eben der Geschickteste.«
Sandy Og hatte darauf zwar eine Antwort gewusst, jedoch keine Worte gefunden, um sie auszusprechen. Auch heute wusste er oft nicht die richtigen Worte, aber damals hatte er noch die Unbekümmertheit besessen, mit den Schultern zu zucken, John beiseitezuschieben und sich wieder an sein Dach zu machen. Es war ein gutes Dach geworden: Der Regen rann an seinen gebogenen Balken ab wie am Federkleid einer Ente, unddarunter ballte sich der Rauch in Wolken, ehe er sich durch winzigste Ritzen verkroch. Seine Frau, so hatte er sich gedacht, könnte Schinken und Würste in den Rauch hängen, wie es Frauen im Dorf gerne taten.
Genug gegrübelt! Sandy Og blies die Kerze aus, die ihn allnächtlich tröstete. Er wollte in den Kleidern und aus dem Haus sein, ehe der Tag ins Tal geschlichen war, vor allem, ehe das Piobaireachd nach ihm rief, die Musik der Pfeifen, die halb Glencoe aus dem Schlaf reißen würde. Warum also stand er nicht auf? Es war die Wärme an seiner Seite, die ihn hielt, die pochende, zappelige Wärme, zu der er sich nicht umzudrehen wagte, auf die jedoch sein Blick fiel, als er sich endlich erhob. Durch den Fensterspalt legte sich Morgenlicht auf eine bleiche Wange. Sein Kind schlief in Frühlingsnächten oft schlecht; es schwitzte leicht und hatte Mühe, sich die Decken vom Leib zu strampeln. Jetzt lag es im Schlummer, doch dem schmalen Gesicht war die Anstrengung anzusehen.
Weil Sarah selbst so leicht fror, hüllte sie die Decken, die Sandy Og ihr gebracht hatte, auch um Duncan – die einzige Verzärtelung, die sie sich dem Sohn gegenüber gestattete. Das Leben im Hochland verlangte von einer Mutter Härte, und Sarah hielt sich überraschend strikt daran. Unvermittelt sah Sandy Og den Knaben vor sich, der er selbst einst gewesen war. Dafür, dass er in den Fluss gestiegen und um ein Haar darin ertrunken war, hatte er von seiner Mutter mit dem Riemen Hiebe bezogen, dass ihm der Schmerz bis heute im Gedächtnis steckte. Duncan wäre vermutlich nicht glimpflicher davongekommen, hätte er je solche Dummheit begangen. Wer Sarah für zimperlich hielt, lag gänzlich falsch.
Sandy Og streckte die Hand nach der Wange seines Sohns aus, streifte sie flüchtig und zog sich zurück. Noch einen Atemzug lang hielt sich sein Blick am Bild der zwei dunkelblonden Schöpfe fest, dann setzte draußen das Piobaireachd ein, Musik von solcher Kraft, dass der Boden unter ihr bebte. Als sichSarah und Duncan im Schlaf regten und die Köpfe dichter zueinanderneigten, schloss sich eine Hand um Sandy Ogs Herz und wrang es wie ein Wäschestück. Er wandte sich ab, hob seinen Feiliadh auf, Plaid und Kilt, die jeder Hochländer im Traum hätte ordentlich anlegen können – jeder Hochländer, außer ihm. Er eilte aus dem Haus, kaum hatte er sich mehr schlecht als recht angekleidet, seine
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